Bei Paper Mario hat Mr. Miyamoto dieses Mal wirklich Ausdauer bewiesen. Worauf legte er dabei besonderen Wert?
Abgesehen davon, dass wir die Atmosphäre grundlegend verändern sollten, gab es noch zwei weitere Dinge, die Mr. Miyamoto von Anfang an von uns verlangte. Er sagte: „Das Spiel kommt doch auch ohne Story aus – brauchen wir denn wirklich eine?“ und „Versuchen Sie, soweit es Ihnen möglich ist, für die Geschichte ausschließlich Super Mario-Charaktere zu verwenden.“
Das ist eine schwere Aufgabe. In mancherlei Hinsicht unterscheidet sich das grundlegend von den zuletzt veröffentlichten Spielen der Serie.
Ja. Zu der Story von Super Paper Mario24 haben wir im Club Nintendo25 eine Umfrage durchgeführt. Nicht einmal ein Prozent der Befragten fanden die Story interessant. Vielen Leuten gefiel jedoch der Flip26-Move, mit dem man zwischen der 3D- und der 2D-Dimension wechseln kann.24. Super Paper Mario: Ein Action-Adventure-Spiel, das für die Wii im April 2007 veröffentlicht wurde.25. Club Nintendo: Ein kostenloser Punkte-Service von Nintendo nur für Mitglieder. Dieser wurde 2003 in Japan und 2006 in Europa ins Leben gerufen. Hier können Mitglieder Punkte erwerben, indem sie die Seriennummern, bzw. einen PIN-Code gekaufter Software oder Spielsysteme registrieren oder an Umfragen zu Spielen nach deren Veröffentlichung teilnehmen. Die gewonnenen Punkte lassen sich gegen besondere Artikel eintauschen, die im Rahmen dieses Programms angeboten werden.26. Flip: Ein „Move“ bei Super Paper Mario, mit dem man per Knopfdruck zwischen der 2D- und 3D-Perspektive hin- und herwechseln und so den Spielverlauf verändern kann.
Aus dieser Idee heraus ist das Projekt entstanden. Mr. Kudo, Sie waren doch für das Skript verantwortlich – hielten Sie eine Story für notwendig oder nicht?
Ursprünglich war ich in etwa Mr. Miyamotos Meinung. Ganz persönlich denke ich, dass wir nur ein Ziel brauchen, um den Boss-Kampf am Ende des Spiels zu gewinnen. Wir brauchten keine langatmige Story wie bei den herkömmlichen RPGs. Stattdessen sahen wir uns die Besonderheiten eines tragbaren Spiels an, das man in kleinen Etappen spielen kann, und bauten ganz viele kleine Episoden und Ideen ein. Mir hat das Einbauen kleiner Ideen schon von jeher gefallen, und so machte mir das viel Spaß.
Also genau das, was Mr. Kudo wollte!
Ja.
Apropos Charaktere: Mr. Miyamoto bekundete doch in der Ausgabe von „Iwata fragt“ zu Super Mario Galaxy, dass es ihm hier erstmals gelang, das Wesen von Mario in Worte zu fassen.
Ja, das stimmt.
Seiner Meinung nach ergibt sich das „Mario-Design“ aus der Funktion heraus. Kommt etwas anderes zu diesem Mix hinzu, dann ist das Design nicht mehr stimmig.
Man begreift den Charakter aus dem Design heraus. Hat dieser zum Beispiel Dornen, dann tut es weh, wenn man auf ihn tritt.
Wenn die Leute so etwas vage wahrnehmen und dies dann mit Logik erklären können, dann wollen sie es auch teilen. Daher wäre es für Mr. Miyamoto zu dieser Zeit schon großartig gewesen, über ein Mario-ähnliches Design zu sprechen! (lacht)
Aber, keine neuen Charaktere verwenden zu dürfen, ist schon eine sehr strikte Auflage. Wir konnten keinerlei neue gegnerische Charaktere entwerfen. Und was die Verbündeten unter den Super Mario-Charakteren angeht, so gibt es da eigentlich nur noch Toad in verschiedenen Farben!
Mich persönlich reizte das Spiel desto mehr, je mehr Beschränkungen mir auferlegt wurden. Die Charaktere mögen vielleicht gleich erscheinen. Wir haben jedoch ein paar Elemente eingebaut, die ihre Persönlichkeiten leicht verändern. Der Unterschied ist schon spürbar, und so denkt man: „Nanu, ist das immer noch der Toad von vorhin?“ Zum Ende der Entwicklung hatte ich dann wirklich das Gefühl, eins mit Toad geworden zu sein! (lacht)
Man muss sich einfach an sie erinnern. So wie bei jemandem, der einen schlechten Charakter hat, obgleich ihre Gesichter gleich sind!
(lachen)
Zusätzlich zu den roten gibt es auch noch blaue, gelbe und grüne Toads. Dabei hielten wir alle außer dem roten in Reserve und dachten sorgfältig darüber nach, an welcher Stelle wir diese einsetzen wollten. Als wir beschlossen, den Ranger27 im Wald zu platzieren, ergab sich eine seltsame Stimmung, etwa in der Art: „Grüner Toad…du bist ja wach!“ (lacht)27. Ranger: Jemand, dessen Aufgabe es ist, den Wald zu schützen, wie ein Parkwächter.
In kreativer Hinsicht sind Beschränkungen gar keine schlechte Sache. Daraus entstehen oftmals viele neue attraktive Features.
Das stimmt. Zunächst erschufen wir viele einzelne Verbündete, die man bei einem herkömmlichen RPG erwarten würde. Als wir dann aber beschlossen, uns auf Sticker zu konzentrieren, um das Spiel damit klar von den vorigen Spielen der Serie abzugrenzen, fingen wir wieder ganz von vorn an und verwarfen das System – einschließlich der Charaktere – die wir bis dahin erstellt hatten.
Dann haben Sie absichtlich die grundlegende RPG-Struktur verworfen?
Ja. Wir wollten das Spiel so aufbauen, dass Spieler mit stärkeren Gegnern konfrontiert werden. Dazu verwarfen wir das gesamte Konzept der Erfahrungspunkte und ließen die Spieler stattdessen allmählich immer wirkungsvollere Sticker sammeln. Die RPG-Erfahrungspunkte wollte ich eigentlich schon lange loswerden. Bei Freshly-Picked Tingle's Rosy Rupeeland28, an dem Mr. Kudo und ich zusammen gearbeitet hatten, entwickelte sich überhaupt keine Spieler-Charakter-Beziehung. Damals griffen wir ein System auf, das alles mit Geld regelte. Dieses Mal beschlossen wir, alles mit Stickern zu regeln. Wir entschieden uns für ein System, bei dem man, anstelle Angriffsbefehle zu erteilen, mit den Stickern kämpft, die man entweder unterwegs gesammelt oder in der Stadt gekauft hat .28. Freshly-Picked Tingle’s Rosy Rupeeland: Ein RPG, das für das Nintendo DS-System in Japan im September 2006 und in Europa im September 2007 veröffentlicht wurde.
Darum nennen wir das Spiel deshalb auch ein „Sticker-Kampf Adventure“.
Genau. Die Sticker bieten allerhand Angriffsmöglichkeiten. Manchmal ist es ganz einfach zu gewinnen, wenn man die richtigen Sticker auf die passenden Gegner anwendet…man muss nur die richtige Kombination finden.
Ich verstehe.
Was die eigene Erstellung von Stickern durch die Spieler betrifft, hatten wir das Glück, hier auf ein Programm zurückgreifen zu dürfen, an dem eine andere Abteilung von IS herumexperimentierte. So wie bei der Teekanne und der Glückskatze.
Teekanne und Glückskatze?
IS experimentierte an einem Programm für die Wii, mit dem man ein 3D-Objekt an eine Wand werfen und dort festkleben konnte, um es schließlich in ein Bild zu verwandeln. Diese Experimente durften wir verwenden. Nimmt man also so ein 3D-„Ding“ und wirft dieses an eine bestimmte Wand, dann kann man auf diese Weise einen „Dings-Sticker“ erstellen. Aber zunächst einmal war das Team strikt dagegen.
Wie kam das?
Wir hatten die 3D-Dinge wie wirkliche Objekte aussehen lassen. Mr. Tanabe hörte nicht auf zu sagen: „Diese Sonderbarkeit ist einfach großartig!” Aber wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten und verstanden es überhaupt nicht. Normalerweise passten solche realen Objekte, wie die Teekanne und die Glückskatze, nicht in die Welt von Super Mario.
Das ist ein großes Problem. (lacht)
Ich hatte aber die Vorahnung, dass uns dieser zunächst unpassend erscheinende Kessel doch noch zu etwas gut sein würde. Hätten wir Dinge eingebaut, die vom Aussehen her schon in die Welt von Super Mario passten, und diese in Sticker umgewandelt, wäre das ja eigentlich nichts Neues gewesen. Ich zeigte das Mr. Miyamoto, der meinte, das ginge schon in Ordnung. (lacht)
(lacht) Aber nach all der Kritik, die Sie einstecken mussten, müssen Sie doch etwas zögerlich gewesen sein.
Schon. Doch was einst Unverständnis hervorrief – „Warum denn bloß ein Kessel?” – ist jetzt etwa folgendem Gedanken gewichen: „Genau das ist es!” (lacht)
Bei der Überprüfung der Spielwelt wurde die Messlatte für die Character Design Group29 schon sehr hoch angesetzt. Bei den Turm-Wandgemälden in der Wüste zum Beispiel… nun, vielleicht sollte Mr. Igata Ihnen hierzu etwas erzählen.29. Character Design Group: Teil der Abteilung Software Development & Design der Division Software Planning & Development bei Nintendo. Die Abteilung beschäftigt sich mit der Erstellung von Nintendo-Charakteren.
Ja. Lassen Sie mich mal überlegen… In Welt 2 kommt ein Turm in einer Wüste vor. Um hier den Eindruck antiker Ruinen zu erwecken, sprachen wir darüber, hier Wandgemälde einzubauen. Wir haben Toad und die Koopas größer gezeichnet, als sie normalerweise erscheinen, um sie damit realistischer aussehen zu lassen.
Es gibt einen menschenähnlichen Koopa mit langen Armen und Beinen, der sich auf allen Vieren bewegt. Der ist richtig gruselig!
Als ich das überprüfen ließ, sagte man mir, es wäre „ekelhaft“. Das fanden wir großartig.
Zunächst verstanden wir das als Lob. Doch die meinten es genauso, wie sie es gesagt hatten!
(lachen)
Danach brachten wir alle möglichen Arten von Designs hervor. Doch je ähnlicher diese Super Mario waren, desto weniger altertümlich wirkten sie. Und wenn wir wirklich realistisch waren, kam etwas ganz anderes dabei heraus.
In der Realität sahen diese Koopas einfach wie Shiitake-Pilze aus!
Ja! (lacht) Am Ende zeigten wir Mr. Miyamoto unser ursprüngliches Design, obwohl wir im Laufe der Zeit mehrere erstellt hatten. Er war damit zufrieden und fragte: „Warum haben Sie es nicht noch ekelhafter gestaltet?“ Am Ende war das ursprüngliche Design also okay.
Das war schon eine Überraschung. Wir dachten: „Man weiß nie, bis man es nicht Mr. Miyamoto gezeigt hat.“ Das war so unsere Vorgehensweise.
Ich denke, das ist wahr. (lacht) Aber es hat den Anschein, als hätte ein Teil des Teams seine Freude daran, ausgefallene Dinge hervorzubringen und dann auszuprobieren, wie man damit zurechtkommt.
Nein, es gab Zeiten, wo ich wirklich Ärger mit Mr. Miyamoto hatte! (lacht) Da ging es zum Beispiel um den Umgang mit Bowser. Aber die Super Mario-Spiele haben schon eine sehr orthodoxe Abstammungslinie, die Mr. Miyamoto selbst als deren Schöpfer aufgestellt hat. Während Paper Mario also als Teil dessen bestimmte Elemente bewahren muss, finde ich es auch schön, Neues und Ungewöhnliches anzugehen.
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