3. Präsident sein war Verschwendung!

Iwata:

Trotzdem hatten Gold und Silber eine schwierige Geburt.

Ishihara:

Die Titel erschienen im November 1999, es hat also dreieinhalb Jahre gedauert, um sie fertig zu stellen.

Morimoto:

Zu der Zeit hatten wir ziemlich wenige Programmierer. Das war aber nicht nur bei Gold und Silber so, sondern auch bei Rot und Grün. Da waren es eigentlich nur vier Programmierer.

Iwata:

Das ist ja wirklich wenig. Ein Spiel von dieser Größe mit so wenigen Programmierern zu entwickeln wäre heute undenkbar. Und der Aufbau dieser Spiele war ja auch sehr komplex.

Morimoto:

Außerdem waren wir sehr gierig in Bezug auf die Features, die wir im Spiel umsetzen wollten, obwohl unser Team nur so klein war. Deshalb war es vielleicht so eine schwere Geburt bei diesen Spielen.

Iwata:

Und dann, als Game Freak gerade bis zum Hals in der Entwicklung von Gold und Silber steckte, ging die Diskussion über die internationalen Versionen des Spiels los.

Ishihara:

Rot und Grün waren in Japan zu so einem Phänomen geworden, dass wir sie auch in Amerika auf den Markt bringen sollten. Aber die Arbeit an der internationalen Version hätte die Entwicklung von Gold und Silber auf jeden Fall noch weiter aufgehalten.

Iwata:

Zu dieser Zeit habe ich zwar nicht für Nintendo gearbeitet, aber trotzdem wurde ich irgendwie zur Verbindungsstelle zwischen Nintendo und Ihnen. (lacht)

Ishihara:

Das stimmt.

Iwata:

Ich war damals nicht bei Nintendo angestellt, weil ich Präsident von HAL Laboratory war. Gleichzeitig war ich im Vorstand von Creatures Inc. und wurde so in die Planung involviert, wie man die internationalen Versionen von Rot und Grün am besten lokalisieren sollte. Deshalb habe ich mir den Sourcecode von Rot und Grün besorgt und den entsprechenden Abteilungen von Nintendo Möglichkeiten vorgeschlagen, wie man ihn lokalisieren könnte.

Ishihara:

Zu der Zeit wurde auch "Pokémon Stadium"16 veröffentlicht… 16Pokémon Stadium ist ein Nintendo 64-Spiel, das am 1. August 1998 in Japan veröffentlicht wurde, in dem die Spieler verschiedene 3D-Pokémon gegeneinander antreten lassen und ihren Pokédex organisieren konnten. Das Spiel war kompatibel mit Pokémon Rot, Grün, Blau und Gelb.

Iwata Asks
Iwata:

Ja, richtig. (lacht) Sie entschieden sich "Pokémon Stadium" für Nintendo 64 zu veröffentlichen, und die erste Aufgabe war die Analyse des Kampfsystems bei Rot und Grün. Wir sollten das alles an Mr. Miyamoto und sein Team weiterschicken. Eigentlich gibt es für so was ja ein Spezifikationsdokument, aber in dem Fall gab es überhaupt nichts...

Morimoto:

Das tut mir wirklich leid! (lacht)

Iwata:

Nein, nein, das war schon in Ordnung! (lacht) Es gehörte einfach zu meinem Job, das Programm für das Pokémon-Kampfsystem zu studieren.

Morimoto:

Ich habe das Kampfprogramm entwickelt, und das hat wirklich viel Zeit in Anspruch genommen. Aber als ich gehört habe, dass Mr. Iwata es in ungefähr einer Woche übertragen hatte und es schon laufen würde... Na ja, ich dachte nur: "Was für ein Firmen-Präsident ist das denn!?"(lacht)

Alle:

(lachen)

Morimoto:

Ich sagte Sachen wie: "Ist der Programmierer? Oder ist er Firmenpräsident?" (lachen)

Iwata:

Um ehrlich zu sein war ich zu der Zeit auch eher Programmierer als Firmenpräsident. (lacht)

Morimoto:

(lacht) Ich war wirklich sehr überrascht, dass Sie so ein kompliziertes Programm in so kurzer Zeit in den Griff bekommen hatten.

Iwata Asks
Ishihara:

Ich dachte damals, dass es einfach nicht so viele Leute geben würde, die den ganzen Game Boy-Sourcecode lesen konnten - der ja wirklich nicht in einer besonders gut ausgereiften Programmiersprache geschrieben war - und dabei auch noch verstehen würden, wie alles zusammenhängt. Und, Mr. Iwata, Sie haben dann ja alles analysiert, den Code noch überarbeitet, entschieden wie man Rot und Grün lokalisieren sollte, das Kampfsystem auf N64 zum Laufen gebracht... Ich war auf jeden Fall total verblüfft, dass Sie das alles hinbekommen haben...

Iwata:

Ich hatte damals einfach das Gefühl, dass die oberste Priorität für das ganze Nintendo-Team war, nichts zu tun, was die Entwicklung von Gold und Silber behindern könnte. Deshalb bin ich ganz von alleine in die Entwicklung von Pokémon reingerutscht.

Morimoto:

Und dann gab es ja noch die Komprimierungs-Tools für den Pokémon-Grafikcode...

Iwata:

Ah, ja, die Komprimierungs-Tools.

Morimoto:

Sie waren so freundlich, diese Tools zu entwickeln.

Iwata:

Ja. (lacht) Ich hatte vorher von Mr. Ishihara gehört, dass Sie deswegen ziemlich besorgt waren.

Morimoto:

Zu dem Zeitpunkt waren wir schon etwas abgehoben und stellten alle möglichen Ansprüche. Wir sagten: "Das ist noch nicht fertig - können Sie das noch überarbeiten?" Das war ganz schön dreist, dass wir so etwas von einem Firmenpräsident verlangten... (lacht)

Iwata:

Na ja, aber ich war ja auch bereit, alles zu tun, was ich konnte! (lacht)

Ishihara:

Es wäre Verschwendung gewesen, Sie einfach nur Präsident sein zu lassen! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata:

Weil ich diesen kleinen Anteil an der Entwicklung von Pokémon hatte, lag mir die Software auf einmal wirklich am Herzen. Es war nicht ganz einfach, aber Gold und Silber sind dann auf jeden Fall doch noch erfolgreich veröffentlicht worden.

Ishihara:

Ich weiß noch, dass ich nach der Veröffentlichung von Gold und Silber das Gefühl hatte, dass mir eine große Last von den Schultern genommen wurde. Wir hatten die Ziellinie mit Gold und Silber so lange im Auge, dass ich nach der Fertigstellung der Hauptreihe - angefangen mit Rot und Blau - mit gutem Gefühl zu Mr. Tajiri sagen konnte: "Ich habe meine Aufgabe erfüllt!"

Iwata:

Aber es war dann doch nicht die Ziellinie.

Ishihara:

Nein, das war wirklich nicht das Ende! (lacht) Nachdem Gold und Silber auf den Markt gekommen waren, und sich noch besser verkauften als Rot und Grün, konnte ich ja nicht aus dem fahrenden Wagen springen und sagen: "Gute Arbeit, alle zusammen. Viel Erfolg noch!"

Iwata:

Als Gold und Silber so viel Anklang fanden, bekamen Sie noch mehr Vorschläge für weitere Produkte aus dieser Richtung.

Ishihara:

Ja, und zwar nicht nur aus Japan. Es kamen auch viele internationale Produkt-Angebote. Das wurde irgendwann alles zuviel, bis ich dann die Entscheidung traf, dass es kein Job mehr für eine einzelne Person wäre, so viele Produkte zu prüfen.

Iwata Asks
Iwata:

Ich denke, es war ungefähr zu dieser Zeit, dass Sie eine Liste zusammengestellt haben, was Pokémon in Zukunft alles brauchen würde.

Ishihara:

Sind Sie sicher?

Iwata:

Sie haben z.B. aufgeschrieben, dass die Zeichentrickserie weiterlaufen sollte, dass jedes Jahr ein neuer Film herauskommen sollte, und in welche Richtung sich die Softwaretitel in Zukunft entwickeln sollten.

Ishihara:

Ach ja, Sie haben Recht. Ich sagte, dass wir mit so einem Plan besser weitermachen könnten.

Iwata:

Damals haben Sie auch beschlossen, dass eine neue Organisation nötig werden würde und haben The Pokémon Company gegründet.

Ishihara:

Stimmt. Zu der Zeit hatten Game Freak alle Hände voll zu tun und hätten nicht die Kapazität gehabt, am nächsten Spiel zu arbeiten. Es war nötig, alle Elemente des Marken-Managements zusammenzubringen und die Lizenzierungen zu überwachen, und dafür gründeten wir The Pokémon Company.

Iwata:

Ich kam im Juni 2000 zu Nintendo und als eine meiner ersten Aufgaben war ich auch an der Gründung von The Pokémon Company beteiligt.

Ishihara:

Ja, richtig! (lacht) Als wir anfangs über die Idee diskutiert haben, The Pokémon Company zu gründen, dachte ich eigentlich: "Das geht doch nicht." Die Anzahl an Pokémon-Lizenznehmern und Rechteinhabern war einfach so stark gestiegen, und ich dachte, es wäre unmöglich, eine Firma zu gründen, bei der alle Fäden zusammenlaufen. Aber Sie waren so gut, Mr. Iwata, dass Sie eine koordinierende Rolle übernehmen konnten, nicht nur für den heimischen Markt, sondern auch international. Ihr Beitrag war wirklich unglaublich wertvoll... (lacht)

Iwata:

Tja, wie ich am Anfang des Interviews schon gesagt habe: Mr. Ishihara, Sie sind ein Gefährte, an dessen Seite ich schon viele Jahre kämpfe. (lacht)