1. Sechs Musiker zusammen

Iwata:

Das heutige Interview führen wir in den Büros von Monolith Soft1, in der Nähe der Haltestelle Nakameguro in Tokio. Ich habe übrigens auch insgesamt fünf Jahre in Nakameguro gewohnt. Von meinem vierten Jahr an der Universität bis einige Jahre nach meinem Abschluss hatte ich hier ein Apartment gemietet. 1Monolith Soft: Monolith Software Inc. ist eine Software-Firma, die 1999 gegründet wurde. Neben der "Xenosaga"-Reihe hat die Firma auch Spiele wie "Disaster: Day of Crisis" für Wii und "Soma Bringer" entwickelt.

Alle:

Ach, wirklich?

Iwata:

Damals waren all diese Wolkenkratzer noch nicht da. Es hat mich wirklich überrascht, wie sehr sich die Gegend um den Bahnhof verändert hat. Aber ich habe mich trotzdem sehr darauf gefreut, mal wieder in meiner alten Heimat zu sein. Auf jeden Fall danke ich Ihnen allen, dass Sie heute dabei sind.

Alle:

Wir danken Ihnen.

Iwata:

Okay, also, Mr. Takahashi, Sie haben ja schon an vielen Titeln gearbeitet. Diesmal waren Sie Executive Director, nicht wahr?

Takahashi:

Das stimmt. Ich war an allen Aspekten des Spiels beteiligt, von der Idee des ursprünglichen Konzepts und dem Schreiben des Skripts bis zum Debugging am Ende.

Iwata Asks
Iwata:

In diesem Interview unterhalte ich mich mit dem Team, das für die Musik von "Xenoblade Chronicles" verantwortlich zeichnet. Können wir damit anfangen, dass Sie uns ein wenig über die Musiker erzählen, die heute hier sind?

Takahashi:

Natürlich. An den Audio-Inhalten dieses Spiels hat ein Team von sechs Leuten gearbeitet. Neben mir sitzen Ms. Shimomura, dann Mr. Mitsuda ...

Iwata:

Sie kennen sich schon lange, oder?

Takahashi:

Ja, stimmt. Vor allem Mi-chan (Mitsuda), mit dem ich schon seit 15 Jahren arbeite …

Iwata:

Mi-chan? (lacht) Sie nennen Mr. Mitsuda also Mi-chan? Ich frage mich, wie Sie dann Mr. Takahashi nennen?

Mitsuda:

Taka-san.

Iwata:

Also Mi-chan und Taka-san … alles klar! (lacht) (Redaktioneller Hinweis: in Japan benutzen enge Freunde die Endung "chan", wenn sie sich gegenseitig beim Namen nennen, und auch Eltern benutzen diese Endung, wenn sie mit ihren Kindern oder über ihre Kinder sprechen. Die Endung "san" am Ende eines verkürzten Namens drückt Vertrautheit und Respekt aus, und am Ende des vollen Vor- oder Nachnamens wird diese Endung eher förmlich verstanden.)

Takahashi:

Genau! (lacht) Dieses Spiel hat "Xeno"2 im Namen, und das ist einer der Gründe dafür, warum ich Mi-chan gebeten habe, an der Musik für den Epilog zu arbeiten. 2'Xeno' war Teil des Namens von zwei RPGs, an denen Tetsuya Takahashi als Director gearbeitet hat: "Xenogears" (1998) und die "Xenosaga"-Trilogie (2002-2006). Yasunori Mitsuda war bei "Xenogears" und "Xenosaga Episode I: Der Wille zur Macht" für die Musik verantwortlich.

Iwata:

Weil es sich um ein "Xeno"-Spiel handelt, sollte es also mit einem Musikstück von Mr. Mitsuda enden.

Takahashi:

Genau. Mi-chan war der Einzige, der für den wichtigen End-Song in Frage kam. Ich habe schon oft mit Mi-chan zusammengearbeitet, und ich hatte immer das Gefühl, dass seine Musik eine verbindende Rolle gespielt hat. Deshalb habe ich ihn darum gebeten, an diesem wichtigen Teil des Spiels zu arbeiten.

Iwata:

Was denken Sie, wenn Sie hören, dass Ihre Musik "eine verbindende Rolle" gespielt hat, Mr. Mitsuda?

Mitsuda:

... also, das macht mich natürlich glücklich. Ich denke, Spiele erlebt man durch eine Kombination aus Sehen und Hören, zusammen mit dem Gefühl des Controllers in den eigenen Händen. Ich versuche mir immer darüber klar zu sein, wie wichtig es ist, dass die Musik zu den Bildern und der Handlung passt und die emotionale Wirkung beim Spieler verstärkt.

Iwata Asks
Takahashi:

Mit Ms. Shimomura habe ich bei diesem Spiel zum ersten Mal direkt zusammenarbeiten können.

Iwata:

Aber Sie kannten sich schon vorher, oder?

Takahashi:

Ja. Wir haben beide zu derselben Zeit bei Square (jetzt Square Enix) gearbeitet, aber da kannten wir uns noch nicht richtig.

Iwata:

Sie haben bei diesem Spiel also zum ersten Mal richtig zusammengearbeitet.

Shimomura:

Ja, genau.

Takahashi:

Bei "Xenoblade" wollte ich viele neue Ideen ausprobieren, ohne von bestehenden Konzepten eingeschränkt zu sein, wie ein RPG sein muss. Das betrifft auch die Audio-Inhalte des Spiels, und ich wollte eine andere Atmosphäre erzeugen als bei den Titeln, an denen ich vorher gearbeitet habe. Deshalb habe ich Ms. Shimomura darum gebeten, einige Stücke zu schreiben, darunter auch die Erkennungs- und die Titelmelodie.

Iwata:

Ms. Shimomura, wie war es für Sie, zum ersten Mal mit Mr. Takahashi zusammenzuarbeiten?

Shimomura:

Ursprünglich hatte ich den Eindruck, dass es nicht einfach sein würde, mit Mr. Takahashi zusammenzuarbeiten und ich war deshalb auch etwas nervös, weil ich befürchtet habe, dass er einige sehr strenge Anforderungen an mich stellen würde. Aber als ich dann tatsächlich mit ihm gearbeitet habe, war es überhaupt nicht so. Er hat eine sehr klare Vorstellung davon, was er in seinen Spielen umsetzen möchte, und wenn ich dann z. B. etwas nachlässig war und dachte: „Also, eigentlich würde ich das gern anders machen, aber dafür reicht die Zeit nicht. Jetzt mach ich es einfach so, und dann können wir es später immer noch korrigieren“, dann hat er das sofort bemerkt.

Iwata Asks
Iwata:

Ich habe bei Nintendo schon ähnliche Dinge gehört. Wenn man Kritik zu irgendetwas bekommt und sich selber dabei nicht absolut sicher ist, kann es schon schockierend sein. Aber gleichzeitig hat man auch das Gefühl, dass die jeweilige Person versteht, worauf es ankommt.

Shimomura:

Das stimmt. Ich hatte das Gefühl, dass er mich komplett durchschaut hat, als ob er wirklich sehr genau aufgepasst hätte. Deshalb hatte ich auch volles Vertrauen zu ihm, und die Arbeit an diesem Projekt hat mir viel Spaß gemacht.

Takahashi:

Dies war auch das erste Mal, dass ich mit Ms. Kiyota und dem Dreier-Team von Ace+ zusammengearbeitet habe. Ich habe diesmal 'Dog Ear Records'3 darum gebeten, an der Musik zu arbeiten, und sie haben mir ein sehr gutes Team dafür empfohlen. Ms. Kiyotas Aufgabe war es, an den Ereignis- und Erkundungsteilen zu arbeiten, während Ace+ an anderen Teilen arbeiten sollte, z. B. der Kampfmusik. 3'Dog Ear Records' ist eine Musikfirma, die 2006 von Nobuo Uematsu gegründet wurde. Die Firma hat die Musik für verschiedene Spiele erstellt, darunter z. B. auch Teile der "Final Fantasy"-Reihe.

Kiyota/Ace+:

Hallo.

Iwata Asks
Iwata:

Danke, dass Sie heute dabei sind. Bevor wir über "Xenoblade Chronicles" sprechen, könnten Sie mir noch erzählen, wie Sie dazu gekommen sind, an der Musik für Videospiele zu arbeiten? Fangen wir mit Ihnen an, Ms. Shimomura!

Shimomura:

Okay, damit wecke ich zwar unangenehme Erinnerungen, aber als ich als Studentin Klavier gelernt habe, war ich richtig süchtig nach "Super Mario Bros."4 und habe es wirklich auch übertrieben und die ganze Nacht gespielt. Dann kam ich zu einer wichtigen Klavierstunde und mein Lehrer fragte mich, warum ich meine Hände nicht richtig bewegen konnte ... 4Super Mario Bros. ist ein Jump’n’Run-Spiel für Famicom, das im September 1985 in Japan veröffentlicht wurde.

Alle:

(lachen)

Shimomura:

Als ich dann ehrlich geantwortet habe, dass ich die ganze Nacht gespielt hatte, sagte mir mein Lehrer, dass ich doch in diesem Bereich arbeiten sollte, wenn mir Videospiele soviel Spaß machen würden. Aber damals hatte ich noch gar nicht über die Spieleindustrie nachgedacht. Nachdem ich meinen Abschluss hatte, hat es nicht lange gedauert, bis ich tatsächlich in der Spielewelt gearbeitet habe. (lacht)

Iwata:

Sie waren also wirklich eine begeisterte Zockerin! (lacht) Dann haben Sie an der Musik für "Street Fighter II"5 gearbeitet, und danach noch an vielen weiteren Spielen. Sie waren auch an Nintendo-Spielen wie "Super Smash Bros. Brawl"6 - wobei Sie die Arrangements gemacht haben - und "Mario & Luigi: Superstar Saga"7 beteiligt. 5Street Fighter II ist ein Kampfspiel von Capcom, das 1991 als Arcade-Spiel veröffentlicht wurde und in Japan im Juni 1992 für das Super Famicom erschienen ist.6Super Smash Bros. Brawl wurde in Japan im Januar 2008 als dritter Teil dieser Kampfspielreihe für Wii veröffentlicht.7Mario & Luigi: Superstar Saga ist ein Action-RPG, das im November 2003 in Japan für den Game Boy Advance veröffentlicht wurde.

Iwata Asks
Shimomura:

Richtig. Da habe ich bestimmt viel Glück gehabt. Ich konnte in die Spieleindustrie einsteigen, obwohl ich kaum Erfahrung mit dem Komponieren hatte. Erst bin ich davon ausgegangen, dass ich nach drei Jahren oder so wieder aufhören würde, aber dank der Unterstützung einer ganzen Reihe von Leuten, kann ich mich jetzt über eine dauerhafte Karriere in diesem Bereich freuen.

Iwata:

Kommen wir zu Ihnen, Mr. Mitsuda.

Mitsuda:

Also, ich muss auch an meine Studentenzeit zurückdenken, da war ich immer für die Toneffekte im Theater zuständig.

Iwata:

Sie haben also früher den Ton auf der Bühne gemacht?

Mitsuda:

Genau. Viele meiner Freunde waren Schauspieler, und ich habe an Liedern für die Stücke gearbeitet und für die Toneffekte gesorgt. Ich habe diese Arbeit nebenbei gemacht, während ich studiert habe. Zufällig ging dann ein früherer Mentor von mir zu Enix (jetzt Square Enix), und ich half ihm mit den Sound-Effekten. Als ich dann gefragt wurde, wo ich gerne arbeiten würde, musste ich zugeben, dass ich noch nicht darüber nachgedacht hatte. In dem Moment blätterte ich gerade durch ein Spielemagazin, das dort lag, und sah ein Stellenangebot von Square. Mein Mentor riet mir dazu, es auszuprobieren, und dann haben sie mich tatsächlich eingestellt.

Iwata:

Es war also eigentlich Glückssache, dass Sie bei Square gelandet sind.

Mitsuda:

Auf jeden Fall. Obwohl ich Videospiele schon immer gerne mochte.

Iwata:

Solche Fügungen sind schon komisch, nicht wahr? Als Sie die Toneffekte beim Theater gemacht haben, haben Sie da auch mit Computern gearbeitet?

Mitsuda:

Ja, schon. Ich mochte Computer schon immer und habe sie dazu benutzt, meine Klänge zu erzeugen. Aber weil ich immer an Sound-Effekten gearbeitet habe, durfte ich nicht die Musik komponieren, als ich zu Square gekommen bin. Aber ich wollte es gerne ausprobieren, deshalb habe ich Hironobu Sakaguchi8 überredet, mich an "Chrono Trigger"9 arbeiten zu lassen. 8Hironobu Sakaguchi hat "Final Fantasy" erschaffen und ist Präsident von 'Mistwalker Corporation'. Er hat als Director an "The Last Story" gearbeitet, das in Japan im Januar 2011 für Wii veröffentlicht wurde.9Chrono Trigger ist ein RPG, das in Japan im März 1995 für das Super Famicom veröffentlicht wurde. Das Spiel wurde von Square (jetzt Square Enix) herausgegeben und in Japan im November 2008 als Version für das Nintendo DS-System neu aufgelegt.

Takahashi:

Ich war bei "Chrono Trigger" der Grafik-Director.

Iwata:

Und seitdem arbeiten Mi-chan und Taka-san zusammen.

Mitsuda:

Genau. Wenn Sie es so sagen, wird mir klar, wie lange ich eigentlich schon mit Taka-san arbeite. Nach "Chrono Trigger" habe ich weiterhin Musik komponiert und konnte auch weiter an Videospielen arbeiten. Darüber bin ich echt glücklich und Ihnen allen auch sehr dankbar.