3. Auf Gedeih und Verderb

Iwata:

Inwiefern war das, was Sie letztes Jahr zu E3 hatten, anders als das Endprodukt? Im Hinblick auf die Spielelemente, meine ich?

Matsushita:

Vor der Präsentation auf der E3 hatten wir schon einige Versionen. In der damaligen Version waren die Superhelden ziemlich weit verstreut. Außerdem enthielt sie einige Strategieelemente13. Zudem haben wir das Zusammenstoßen der Helden mit irgendwelchen Objekten, was dann zur Entstehung einer Form führte, stark betont. Und dann gab es auch eine Zeit, in der die Unite-Attacken nicht so stark im Zentrum standen wie jetzt.13. Strategie: Ein Genre von Simulationsspielen.

Iwata:

Damals hatten viele Leute den Eindruck, dass es etwas Ähnliches sei wie „Pikmin“14, obwohl es sich ja um völlig unterschiedliche Spiele handelt.14. Pikmin: Ein Action-Spiel, in dem man gemeinsam mit seltsamen Wesen, den sogenannten Pikmin, nach Schätzen sucht. Das erste Spiel dieser Serie wurde in Japan im Juni 2002 für Nintendo GameCube veröffentlicht, in Europa im Juni 2002. Das jüngste Spiel der Serie, „Pikmin 3“, erschien mit Juli 2013 für Wii U.

Kamiya:

Es ist ein Spiel, in dem man eine große Gruppe von Charakteren mit sich führt. Wir haben also viele verschiedene Dinge ausprobiert, um alle Möglichkeiten auszuloten. Wir haben das Spiel wieder und wieder erstellt und ebenso oft wieder auseinandergenommen, um andere Elemente zu kombinieren und die richtige Art von Gameplay zu erhalten.

Inaba:

Das „Gefühl“ stimmte einfach nicht. Das Ganze wirkte chaotisch und unstrukturiert. Wir wussten, dass wir die richtige Basis für das Spiel hatten, aber wir könnten es einfach nicht so umsetzen, dass etwas wirklich Gutes dabei herauskam.

Iwata:

Aber wir bei Nintendo hatten den Eindruck gewonnen, dass PlatinumGames durchaus auch alleine zu Resultaten kam. Wir waren überzeugt, Ihnen vertrauen und erst einmal abwarten zu können, was Ihre Fähigkeiten so zutage fördern würden. Also haben wir uns zurückgelehnt und Sie sozusagen aus der Ferne beobachtet.

Yamagami:

Stimmt. Allerdings kam dann irgendwann der Zeitpunkt, an dem wir doch einmal etwas sagen mussten. Also hatten wir jede Menge Besprechungen, in denen es nur darum ging, wie wir Herr Kamiya direkt ansprechen sollten.

Iwata:

Herr Kamiya, wie haben Sie sich gefühlt, als Herr Yamagami und Herr Matsushita Ihnen plötzlich auf die Pelle rückten?

Kamiya:

Ursprünglich hatte ich mir vorgestellt, dass derartige Anfragen nach und nach systematisch eintrudeln würden. Ich dachte, dieser Prozess würde sehr geschäftsmäßig ablaufen.

Iwata:

Wirklich? Das war Ihr Bild von Nintendo?

Kamiya:

Na ja, ich hatte mir vorgestellt, dass Nintendo sich z. B. bei mir melden und mir mitteilen würde, dass sie Umfragen unter den Anwendern durchgeführt hätten. „Wir haben das und das herausgefunden, also möchten wir Sie bitten, dies und das zu ändern, damit es zu diesen Resultaten passt.“

Iwata:

Nach dem Motto „Die Marketing-Daten belegen, dass Sie diese und jene Richtung einschlagen sollten.“

Kamiya:

Genau. Daher war ich von der Vorgehensweise sehr überrascht. Es hätte mir natürlich klar sein müssen, aber ich war wirklich verblüfft, wie „menschlich“ Sie alle waren.

Iwata:

Ihr ursprüngliches Bild von Nintendo war also etwas Unmenschliches? (lacht)

Iwata Asks
Alle:

(lachen)

Yamagami:

Und wir auf unserer Seite hatten die Vorstellung, dass Herr Kamiya eine nachtragende, furchterregende Person sei. Wir konnten uns noch gut erinnern, wie erbost er damals bei unserem ersten Treffen wirkte und wie er sich auf Twitter geäußert hatte. Aber je mehr wir von ihm zu sehen bekamen, umso umgänglicher erschien er uns. Wenn wir etwas vorschlugen, stimmte er spontan zu, dass das sinnvoll sei, und uns ging auf, dass wir einfach ehrlich zu ihm sein mussten. Danach sind wir gewissermaßen näher an ihn herangerückt.

Kamiya:

Wenn man Zweifel an etwas hat, was einem jemand erzählt, dann fragt man noch einmal nach und lässt es sich erklären. Aber mit Daten kann man nicht diskutieren.

Iwata:

Wenn Leute Ihnen Daten vorlegen, dann spiegeln diese ja nicht deren Meinung wider; es bringt also nichts, mit ihnen zu argumentieren.

Kamiya:

Genau. Es war also gut, dass wir uns näherkamen. Und die meisten ihrer Argumente waren völlig richtig.

Inaba:

Ha! (lacht)

Alle:

(lachen)

Kamiya:

Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke … Wenn sie gleich mit der Tür ins Haus gefallen wären und mich gefragt hätten, wann da endlich mal was Gescheites herauskommt, hätte ich sicher den Mut verloren und das Projekt wäre dann und dort in den Papierkorb gewandert.

Matsushita:

Wir haben damit gewartet, weil wir an Sie geglaubt haben! (lacht) Die Entwicklungsumgebung für Wii U war damals noch nicht mal fertiggestellt und ich glaube, das war mit ein Grund für die Schwierigkeiten.

Iwata Asks
Iwata:

Die Entwicklungsumgebung für Wii U war am Anfang alles andere als ideal und das hat es Ihnen sicher nicht leicht gemacht.

Kamiya:

Nein, das hatte eigentlich keine allzu großen Auswirkungen. Das Spiel war nur deswegen langweilig, weil wir es nicht auf die Reihe bekamen.

Iwata:

Und Anfang dieses Jahres unterlief das Spiel, das Sie für so langweilig hielten, dann einige umfassende Änderungen?

Kamiya:

Genau. Wenn ein Spiel mit vielen Charakteren nichts anderes zu bieten hat, als dass die Durchschlagskraft beim Angriff größer wird, ist das ja auch nicht viel anders, als wenn man nur einen Charakter hat, der ordentlich zuschlagen kann. Das Ganze kam mir aber sinnlos vor ohne einen Kampfstil, der die verschiedenen Charaktere auch wirklich nutzen würde.

Iwata:

Das leuchtet mir ein.

Kamiya:

(Wendet sich an Matsushita) Irgendwann Ende des letzten Jahres erfanden wir die

Video: Kletter-Attacke

Inwiefern war das, was Sie letztes Jahr zu E3 hatten, anders als das Endprodukt? Im Hinblick auf die Spielelemente, meine ich?
Kletter-Attacke 15, bei der die Helden anfangen, an einem angegriffenen Gegner hochzuklettern . Das war doch Ende des letzten Jahres, oder?15. Kletter-Attacke: Ein Angriff, bei dem die Helden auf einen Gegner klettern, um diesem Schaden zuzufügen. Durch den Angriff kann ein Gegner vorübergehend bewegungslos gemacht werden, wenn die Helden immer weiter an ihm hochklettern.

Matsushita:

Ja. Und im letzten Herbst wurden alle bis dahin erstellten Funktionen wieder verworfen und das Spiel war so gut wie unspielbar.

Kamiya:

Ja, stimmt.

Iwata:

Wie ist denn das passiert?

Matsushita:

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir im Spiel zwischen schwachen und mächtigen Angriffen unterschieden: Die Helden, die einen Gegner separat angriffen, führten schwache Angriffe aus, die Helden, die sich zu einer Attacke vereinten, waren stark. Dann haben wir aber plötzlich eine Version erstellt, in der es keine schwachen Angriffe mehr gab.

Iwata:

Das ist eine ganz erhebliche Änderung. Was wollten Sie denn dadurch erreichen?

Kamiya:

Die grundlegende Kampfmethode besteht darin, die Gegner einzuschüchtern, indem man die Helden aussendet und sich anklammern lässt; aber wenn man sonst gar nichts tut, kann man keinen durchschlagenden Angriff landen. Ich wollte eine Situation schaffen, in der man auch Taktik einsetzen muss.

Iwata:

Ah, und dabei kommen die zahlreichen Charaktere dann wirklich zum Tragen.

Kamiya:

Genau. Diese Funktion kam Anfang des Jahres hinzu. Eigentlich hätte dieser Teil längst geklärt sein sollen, als wir in Produktion gingen, aber wir wussten nicht recht, was wir damit machen sollten. Also haben wir weiter daran herumgebastelt.

Yamagami:

Wenn Sie das jetzige Spiel mit dem vergleichen, das wir letztes Jahr bei der E3 hatten, dann waren das ungefähr 70 % von 100.

Kamiya:

(lacht)

Matsushita:

Am Ende des letzten Jahres haben wir schon die letzten Feinanpassungen an der Ausgewogenheit des Spiels vorgenommen und waren alle überzeugt, dass der damalige Zustand mehr oder weniger das Endprodukt widerspiegelte. Als dann diese Änderungen kamen, sind wir alle in mittlere Panik geraten. Wir wussten überhaupt nicht, wie uns geschah.

Inaba:

Unsere Entwickler waren natürlich mit Mr. Matsushita einer Meinung. Wir alle haben uns gefragt, ob es nicht riskant wäre, in diesem Stadium noch eine derart große Änderung vorzunehmen. Immerhin waren wir ja doch schon sehr weit fortgeschritten.

Iwata:

Ich kann gut verstehen, dass im Team die Panik ausbrach. Immerhin mussten die Teammitglieder etwas wieder auseinandernehmen, das sie für beinahe abgeschlossen hielten.

Inaba:

Das war schon sehr bedenklich. Und solche Vorfälle gab es in der zweiten Hälfte immer wieder, bis in die Endstadien der Entwicklung.