3. Der Phantom-Titel: Dark Wasteland

Iwata:

Jetzt möchte ich gern dem Nintendo-Team ein paar Fragen stellen. Mr. Yamagami, Sie haben am vorigen Spiel mitgearbeitet?

Yamagami:

Ja. Bei dieser Version war ich der Produzent, bei der Version für das N64 habe ich aber als Direktor gearbeitet.

Iwata:

Mr. Yamagami, wie war damals die Zusammenarbeit mit Treasure?

Yamagami:

Um es ganz offen zu sagen: Das war schon eine seltsame Firma.

Alle:

(lachen)

Yamagami:

Vielleicht beweist das nur, wie wenig Erfahrung ich hatte, aber unter allen Leuten, mit denen ich zusammengearbeitet habe, ...

Iwata:

Sie unterschieden sich von allen anderen Firmen.

Yamagami:

Ja, genau. Sie waren anders. Selbst heute sage ich noch oft, dass sie unter allen Firmen, mit denen ich bislang zu tun hatte, zu den drei schwierigsten zählen.

Maegawa:

(lacht)

Yamagami:

Und auch die Originalversion von Sin and Punishment gehört zu den drei Spielen, die am schwierigsten zu entwickeln waren. Was so schwierig daran war, war, dass man normalerweise einen ungefähren Termin gesagt bekommt, wenn man nach dem Fertigstellungstermin fragt.

Iwata:

Ob man diesen Termin einhalten kann, ist eine andere Frage, aber man erhält zumindest eine ungefähre Einschätzung.

Yamagami:

Aber bei Treasure sagte man: „Das wissen wir nicht. Wir zeigen Ihnen etwas, wenn das Spiel fertig ist.“ Darauf sagte ich: „Naja. das bringt uns in Schwierigkeiten”, und darauf erwiderten sie: „Wenn wir es nicht wissen, wissen wir es nicht.“ Und wir diskutierten lange hin und her.

Iwata Asks
Iwata:

Sie sind sehr höflich in dieser Frage, aber was sie eigentlich sagten ist: „Keine Ahnung”. (lacht)

Yamagami:

Genau. Dann sagten sie: „Wie dem auch sei: Wir geben unser Bestes.”

Iwata:

Und in Wahrheit haben Sie auch Ihr Bestes gegeben, stimmt’s?”

Nakagawa:

(nickt schweigend)

Iwata:

(lacht)

Yamagami:

Als ich eine Weile gewartet hatte, war der Prototyp fertig. Und als ich ihn ausprobiert hatte, war ich verblüfft.

Iwata:

Sie fragten sich, wie die so etwas für den Nintendo 64 schaffen konnten?

Yamagami:

Sie haben es erraten. Ich war wirklich verblüfft. Bei Treasure ist jeder ein Perfektionist und der Schwierigkeitsgrad war einfach unglaublich.

Iwata:

Ich verstehe.

Yamagami:

Als ich sagte: „Das ist zu schwer. Ich schaffe das nicht”, erwiderten sie: „Dann haben Sie nicht das Zeug dazu, dieses Projekt zu leiten.”

Alle:

(lachen)

Yamagami:

Und als ich sagte: „Aber normale Leute schaffen das auch nicht!”, sagten sie: „Bei uns in der Firma kann das jeder. Und jeder, der das nicht schafft, kann nicht zu unserem Team gehören.”

Iwata:

(lacht)

Yamagami:

Diese Diskussion führten wir fast ein ganzes Jahr lang.

Maegawa:

Ja, das ging eine ganze Zeit. (lacht)

Yamagami:

Zu sagen „Macht es leichter!” ist einfach. Aber wenn man das macht, verliert das Spiel seinen typischen Treasure-Stil.

Maegawa:

Wir wären nicht viel wert, wenn wir zerfielen, nur weil man uns angewiesen hat, etwas zu tun. Wenn man etwas macht, nur weil es einem gesagt wurde, bricht das Spiel auseinander. Aber Mr. Yamagami hat kontinuierlich auf unserem Team herumgehackt.

Yamagami:

Wenn ich ihnen wirklich eingeheizt hätte, hätten wir das Spiel schon vor 2000 herausbringen können, aber ich habe ihnen gesagt, dass ich ihnen keine Anweisungen geben würde, um die Sache zu erleichtern. Ich sagte immer: „Ich gebe euch keine Anweisungen, bis ihr es verstanden habt. Ich rede weiter mit euch, bis ihr versteht.“ Wenn ich das nicht getan hätte, hätte es keinen Sinn gehabt, mit ihnen zu arbeiten. Schließlich, gegen Ende des Projekts, nahm der Schwierigkeitsgrad ab, aber ohne dass etwas von dem einzigartigen Treasure-Feeling verloren gegangen wäre.

Iwata:

Ich verstehe. Übrigens war es doch Mr. Yamagami, der den Titel vorgeschlagen hat, oder?

Yamagami:

Ja.

Iwata:

Wie wurde der Titel festgelegt?

Iwata Asks
Yamagami:

Zunächst verwendeten wir in der Entwicklungsphase den Titel „Glass Soldier“.

Maegawa:

Weil der Protagonist so zerbrechlich wie Glas ist.

Yamagami:

Zu dieser Zeit waren die Titel aller Spiele, die veröffentlicht wurden, in Katakana. Deshalb schlug ich vor, einen Titel in den chinesischen Kanji-Schriftzeichen zu wählen. Anmerkung der Redaktion: Die Katakana sind eine der drei japanischen Silbenschriften. Katakana wird phonetisch geschrieben und wird üblicherweise verwendet, um die Aussprache von Fremdwörtern zu verdeutlichen. Kanji ist eine andere dieser drei Silbenschriften. Die meisten der Kanji-Schriftzeichen können auf zwei oder mehrere verschiedene Arten ausgesprochen werden.

Iwata:

Ja, oft gingen Spiele mit Titeln in Katakana unter all den anderen Spielen unter, die auf den Markt gebracht wurden. Aber warum haben Sie sich genau diese Wörter, Sin and Punishment, ausgesucht?

Yamagami:

Es hat sich zu dieser Zeit einfach so ergeben, dass einer der Titel, die von der Abteilung für Unterhaltungsanalyse und Entwicklung konzipiert wurden, Red and Black war.

Iwata:

Oh, Sie meinen Perfect Dark.1111Perfect Dark: Ein Ego-Shooter für den Nintendo 64, der in Europa im Juni 2000 veröffentlicht wurde.

Yamagami:

Ja. In der Entwicklungsphase war Red and Black der Arbeitstitel. Letztendlich wurde das Spiel mit dem Titel Perfect Dark verkauft. Aber wenn Red and Black okay war, warum dann nicht Sin and Punishment? Da wir jedoch dachten, der Titel sei zu düster, wollten wir noch einen Untertitel hinzufügen, der das Thema besser zur Geltung brachte. Ich bat die jüngeren Mitglieder des Teams um ihre Meinung, die Kanji vorschlugen, das normalerweise Chikyu (Erde), hier aber hoshi (Stern) lautet. Da sagte ich: „Das ist es!” Anmerkung der Redaktion: Wenngleich die übliche Aussprache des japanischen Kanji von “Chikyu” (Erde) nicht “hoshi” (Stern) beinhaltet, so ist es doch in der japanischen Pop-Kultur üblich, mit Absicht Kanji-Schriftzeichen anders auszusprechen, indem die entsprechenden Hiragana oder Katakana-Schriftzeichen daneben gestellt werden, um andere Bedeutungen zu suggerieren.Durch das Handlungsthema kamen wir auf Hoshi no Keishosha (Successor of the Earth).

Iwata Asks
Iwata:

Und dieses Mal?

Yamagami:

Ich wollte einen Bezug zum Originalspiel herstellen, also suchten wir nach einem ähnlichen Titel. Da diesmal das Hintergrundthema größere Ausmaße beschreibt, ließen wir chikyu (Earth) fallen und entschieden uns für uchu (Universum).

Iwata:

Und schlugen vor, es sora (Himmel) lauten zu lassen.

Yamagami:

Aber dieses Mal verwendeten wir kokeisha (ein anderes Wort für „Nachfolger”) und entschieden uns für den Untertitel Sora no Kokeisha (Successor of the Skies).

Iwata:

Mr. Maegawa, was dachten Sie, als sich der Titel von Glass Soldier in Sin and Punishment änderte?

Maegawa:

Ich war überrascht. (lacht)

Iwata:

Ich glaube, es hat ein bisschen gedauert, bis wir uns daran gewöhnt hatten.

Nakagawa:

Ähm ... ich habe mich gefreut.

Iwata:

Ihnen gefiel der Titel Sin and Punishment, Mr. Nakagawa?

Nakagawa:

Na ja, einer der anderen Titel, die es in die engere Auswahl geschaft hatten, war ziemlich wild. Ich glaube, es war Dark Apocalypse.

Suzuki:

Nein, es war Dark Wasteland.

Nakagawa:

Ja genau, so war es!

Iwata:

Wasteland?

Nakagawa:

Zu dieser Zeit gefiel mir Wasteland überhaupt nicht.

Iwata:

(lacht)

Maegawa:

Und während wir Sin and Punishment verwendeten, fanden wir allmählich Gefallen daran.

Yamagami:

Ja, das stimmt.

Maegawa:

Ich glaube, wenn wir das Spiel als Glass Soldier herausgebracht hätten, hätte es die Leute nicht so in seinen Bann gezogen wie Sin and Punishment.