Sie haben also die zwei Ausgaben von Awakening mit nach Hause genommen, aber hatten Sie überhaupt Zeit, das Spiel mal auszuprobieren? Sie sind doch so beschäftigt.
Der Zeitpunkt hat gepasst. Ich war sehr stark ausgelastet, aber wir haben uns gegen Ende des Jahres getroffen, deshalb wurden meine Manga-Reihen gerade alle zum Jahresabschluss zu Sammelbänden zusammengefasst ...
Das ist also der Jahresabschluss-Veröffentlichungsplan, von dem man in der Print-Industrie immer wieder hört.
Genau. Ich hatte gerade die Arbeit für zwei Wochen im Voraus abgeschlossen, deshalb hatte ich zwei Wochen frei. Ich wollte zur Entspannung verreisen, also habe ich das Spiel im Flugzeug einfach mal angefangen.
Wie war Ihr Eindruck von Awakening?
Ich dachte: "Das ist ja echt interessant." (lacht)
Natürlich. (lacht)
Aber ich hatte das Gefühl, dass einige Elemente etwas unzufriedenstellend waren. Meine Tochter, die zu dieser Zeit in der Highschool war, sagte mir: "Ich will auch mal spielen." Also gab ich ihr das Spiel, und sie kam sehr schnell weiter. Sie hat immer weiter gespielt, also fragte ich sie: "Macht das wirklich so viel Spaß?", und sie antwortete nur: "Den Job solltest du annehmen!"
(ehrfürchtig) Dafür bin ich so dankbar.
Sie sagte: "Aber die Handlung ist ziemlich voll mit Klischees, das könntest du bestimmt besser." (lacht)
(lachen)
Sie sagte also: "Da musst du ran, Papa."
Genau. Also habe ich mir angeschaut, wie mein Arbeitsplan war, und die Terminauslastung war echt unglaublich, aber es gab doch ein paar Dinge, die ich noch etwas aufschieben konnte. Und sie hatten mir ja gesagt, dass ich zu allen drei Handlungssträngen jeweils nur zehn Seiten schreiben müsste.
Richtig. Da er so viel beschäftigt ist, dachte ich, dass wir ihn am besten nach einer zehnseitigen Zusammenfassung der Handlung fragen könnten.
Ich dachte also: "Ja, das könnte ich schon hinkriegen." Dann habe ich angefangen, die Geschichte über die Hoshido-Familie zu schreiben - und alleine der Anfang meiner Geschichte hat die zehn Seiten schon ausgefüllt. Am Ende habe ich über 500 Seiten geschrieben.
Stimmt.
Wenn ich eine Geschichte schreibe und anfange die Details auszuarbeiten, wie z. B. die Dialoge der Charaktere, schließe ich die Figuren schnell ins Herz, und so entwickeln sie schnell ein Eigenleben, und auf einmal schreitet die Geschichte ganz von alleine voran. Es war also klar, dass ich nicht nur eine kurze Handlungsübersicht schreiben, und das Projekt dann wieder abgeben könnte.
Ohne die Dialoge erwachen die Charaktere aber nicht zum Leben.
Richtig. Also habe ich extrem viel geschrieben und dachte: "Das ist ja eine ganz schöne Aufgabe geworden." Ich habe die Seiten mit der grundlegenden Geschichte der Hoshido-Familie abgegeben, und musste dann noch dieselbe Anzahl an Seiten für die beiden anderen Geschichten schreiben. Ich sagte: "Das kann ich unmöglich schaffen." Aber als ich erstmal angefangen hatte, ging es dann doch irgendwie.
(lachen)
Ich dachte: "Ich bin doch echt blöd." Aber ich hab trotzdem weitergemacht. Am Ende habe ich so viel geschrieben, dass man daraus zwei Bücher hätte machen können.
Sie mussten ja auch die Erwartungen Ihrer Tochter erfüllen.
Das hatte auch einen wichtigen Anteil an allem. Wenn meine Arbeit nicht gut gewesen wäre, wäre meine Tochter sicher ärgerlich gewesen. Und während ich geschrieben habe, fragte sie auch immer wieder: "Wie läuft es denn?", so dass ich dachte: "Das muss echt gut werden." Also wurde meine Geschichte immer länger, und es wurde eine sehr komplexe Handlung daraus.
Mr. Maeda, wie war Ihr Eindruck von den Seiten, die Sie von Mr. Kibayashi erhalten haben?
Ich war alleine schon vom Umfang der Arbeit überrascht.
Ja, Sie hatten ihn ja auch nur um zehn Seiten gebeten, und er hat 500 geschrieben.
Genau. Als ich sie gelesen habe, war das schon mal sehr interessant für mich; aber es gab noch etwas anderes, für das ich sehr dankbar war. Es gibt ja bestimmte Einschränkungen, an die man sich halten muss, wenn man eine Geschichte in einem Videospiel umsetzen will. In der Fire Emblem-Reihe spielt z. B. jedes Kapitel auf einer anderen Karte, und es kommt eine Schlacht darin vor.
Es gibt einfach bestimmte Dinge, die in der Emblem-Reihe vorausgesetzt werden.
Genau. Und obwohl Mr. Kibayashi noch nie so intensiv an der Arbeit an einem Videospiel beteiligt war, hat er all diese Voraussetzungen bedacht, als er die Geschichte geschrieben hat.
Er hat also nicht nur viel geschrieben, sondern sich dabei auch noch an die Regeln der Fire Emblem-Reihe gehalten.
Ja, stimmt. Dafür war ich sehr dankbar.
Solche Regeln findet man aber nicht nur in Videospielen, sondern überall - ob es sich um Mangas handelt, oder um TV-Serien, Bühnenstücke oder Filme.
Ja, das stimmt.
Vielleicht liegt es daran, dass er in so vielen Bereichen gearbeitet hat - nicht nur an Mangas, sondern auch an TV-Serien und Kabuki-Stücken - dass Mr. Kibayashi flexibel arbeiten konnte und ein gutes Gefühl für das Erzähltempo des Spiels hatte.
Das ist bestimmt richtig. Das Erzähltempo ist je nach Medium komplett unterschiedlich. Und da ich Awakening gespielt hatte, konnte ich eine klare Vorstellung davon entwickeln, wie das Erzähltempo in der Fire Emblem-Reihe sein sollte. Als ich dann über die Geschichte nachgedacht habe, konnte ich mir richtig vorstellen, wie die Handlung im Spiel voranschreiten würde, und ich wusste: "Das wird auf jeden Fall gut."
Das haben Sie also direkt nach dem Beginn Ihres Schreibprozesses gespürt.
Ja, richtig. Und wenn man als Autor denkt: "Das wird auf jeden Fall gut", macht die Arbeit auch richtig Spaß. Natürlich muss man immer noch lange dransitzen, oft auch die ganze Nacht, was schon sehr anstrengend ist, aber wenn einem die Geschichte selber gefällt, die man schreibt, sprudeln die Worte immer weiter. Und so wird die Seitenanzahl natürlich immer höher. (lacht)
Klar. (lacht)
Am Ende habe ich also wirklich viel geschrieben; aber wenn ich zurückblicke ist mir klar, dass das daran lag, dass ich so tief in die Welt dieses Spiels eingetaucht war.
Okay ... bei Mr. Shigesato Itoi26 gibt es ja etwas, das er "Omotsurai"27
nennt ...26. Shigesato Itoi: Entwickler der MOTHER-Spielreihe (in Europa unter dem Namen Earthbound bekannt).Er ist bekannt für seine Leidenschaft für das Barsch-Angeln, und hat daher auch die Veröffentlichung von Itoi Shigesato no Bass Tsuri No. 1 (Veröffentlichung nur in Japan, Super NES, 1997) geleitet. Er betreibt die Website Hobo Nikkan Itoi Shinbun. Shigesato Itoi ist zufällig auch ein alter Freund von Satoru Iwata, und nimmt ab und zu auch an Iwata fragt-Interviews teil. Weitere Details dazu findet man z. B. in Super Mario Bros. 25. Jahrestag: Teil 1: Itoi fragt Miyamoto, Iwata fragt: The Legend of Zelda Skyward Sword: Special Edition: Creative Small Talk, Iwata fragt: Nintendo 3DS: So ist der Nintendo 3DS entstanden. 27. Omotsurai: Dieses Wort verbindet die japanischen Worte Omoshiroi (Interessant/Unterhaltsam) und Tsurai (Schwierig/Herausfordernd), und bezeichnet daher etwas, das herausfordernd ist, aber Spaß macht. Das Wort wurde von Shigesato Itoi geprägt, der in seinem Buch Seikatsu Gochō Seikatsu – Basu Tsuri ha Omotsurai. (in Japan 1996 veröffentlicht) als Erster über die befriedigenden, aber herausfordernden Aspekte des Barsch-Angelns schrieb.
Omotsurai? (lacht)
Dieses Wort ist eine Verbindung von 'Omoshiroi' und 'Tsurai'. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie die 500 Seiten im Omotsurai-Modus geschrieben haben. (lacht)
Das stimmt. Das war auf jeden Fall 'omotsurai'. (lacht)
Aber bei der Entwicklung dieses Spiels sind ja alle möglichen Zufälle zusammen gekommen. Wir hätten Sie z. B. gar nicht erst kontaktieren können, Mr. Kibayashi, wenn Sie und Mr. Kozaki nicht denselben Herausgeber gehabt hätten ...
Ja, richtig.
Und Mr. Maeda war so ein großer Fan von Mr. Kibayashi, dass er ihn fast schon angebetet hat; dann haben sie sich ausgerechnet zum Ende des Jahres getroffen, und so konnte Mr. Kibayashi Awakening während seiner freien Zeit spielen; und dann hat seine Tochter mit ihm zusammen gespielt und ihn dazu angehalten, den Job anzunehmen ... Aber ich denke, die wichtigste Sache war wohl, dass Mr. Kibayashi das Gefühl hatte, dass es ihm wirklich Spaß macht. So fingen die Worte bei ihm an zu sprudeln, und so konnten wir sein Talent dann in voller Aktion erleben.
Ja, dafür bin ich sehr dankbar.
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