7. Tiefer und weiter

Iwata:

Da gibt es noch etwas, worauf externe Entwickler aufmerksam gemacht haben. Bisher gab es immer wieder Dinge, die auf der Hardware anderer Unternehmen möglich, auf Wii jedoch schwierig waren. Dazu gehörte etwa auch die HD-Unterstützung.

Miyamoto:

Stimmt.

Iwata:

Mit Wii U wollte ich diese Einschränkungen weitestgehend ausgeräumt wissen. Vielleicht übertreibe ich, wenn ich sage, dass wir mit Wii U eine Herausforderung an alle Schöpfer und Erfinder stellen. Aber ich möchte sie herausfordern, indem ich sage: „Wäre Ihre Schöpfung mit dieser von uns angebotenen Struktur nicht besser, wobei sie alle ihre Stärken bewahren könnte?“ Oder: „Ist dies nicht der Schlüssel zu einem jahrelangen Dilemma?“

Iwata Asks
Miyamoto:

Ich denke schon. Das ist ja wohl auch eigentlich auf mich gemünzt, oder?

Iwata:

Mit unserer neuen Struktur können wir jetzt Probleme lösen, die uns jahrelang geplagt haben. Das Ganze hat wirklich Potenzial. Ich glaube, das spüren auch Entwickler außerhalb des Unternehmens, und nicht nur Sie, Mr. Miyamoto, sondern auch andere Entwickler denken darüber nach.

Miyamoto:

Wenn diese dies als neue Chance begreifen, könnten sich drastisch revolutionierte Spielstile ergeben, und was früher als die Grenzen der Spielweise angesehen wurde, gilt möglicherweise nicht mehr. Wir haben lange über alles Mögliche debattiert, aber ganz besonders haben wir darüber diskutiert, welche Vorteile dies für Leute eröffnet, die an ein Netzwerk angeschlossen sind, und welchen Wert es für jene hätte, die über keine Verbindung verfügen.

Iwata:

Ja.

Miyamoto:

Ausgehend von diesen Debatten können wir meiner Meinung nach jetzt die Vorbereitungen für Lösungen beiderlei Arten angehen.

Iwata:

Welchen Aspekt der neuen Möglichkeiten halten Sie für diejenigen Leute am interessantesten, die nicht verbunden sind?

Miyamoto:

Ich glaube, die größte und wichtigste Möglichkeit des neuen Controllers ist das von ihm gebotene Mehrspieler-Spiel. Allerdings möchte ich auch auf den Konflikt zwischen Videospielen und dem Fernseher hinweisen. Im Augenblick sind Videospiele ein häufiger Grund dafür, dass Eltern nicht fernsehen können (weil das Kind Videospiele spielen möchte) oder dass Kinder nicht spielen können (weil die Eltern fernsehen). Mit dem neuen Controller ist jetzt beides gleichzeitig möglich.

Iwata Asks
Iwata:

Aufgrund dieses Konflikts bestand bisher ein völlig neues Problem, da Videospiele plötzlich ins Wohnzimmer vordrangen. Paradoxerweise hat dies zu einer Beschränkung der Spielzeit geführt, obwohl es doch eigentlich eine tolle Entwicklung war, dass Videospiele das Wohnzimmer eroberten.

Miyamoto:

Ja, genau.

Iwata:

Der neue Controller löst diese Konflikte auf andere Weise.

Miyamoto:

So sehe ich das auch.

Iwata:

Die andere Sache ist – kurz nach dem Erscheinen der Wii-Konsole begannen die relevanten Medien und Spielbegeisterten die Wii-Konsole als Freizeitgerät für Familien einzuordnen, wogegen die Konsolen von Microsoft und Sony gemeinsam in eine Kategorie von Geräten für leidenschaftliche Spieler eingeordnet wurden. Damit wurde eine Unterscheidung zwischen „Gelegenheitspielen“ und „ernst zu nehmenden Spielen“ getroffen. Damit war ich nie so recht einverstanden, denn ich persönlich halte einen echten Spielefan für jemanden, der viel breitere Interessen hat und begeistert unterschiedlichste Arten von Spielen spielt, die verschiedene Kreativitätsbereiche ansprechen. Andererseits glaube ich nicht, dass wir mit Wii den Anforderungen aller Spieler entsprechen konnten. Auch dieses Problem wollte ich gerne lösen. Der Slogan für unsere Präsentation auf der diesjährigen E3 ist „Tiefer und weiter“. Mit Wii U möchte ich dieses Konzept umsetzen. Sicher würde niemand der Behauptung widersprechen, dass wir uns schon mit der Wii-Konsole wirklich bemüht hatten, unser Spektrum auszuweiten, aber obwohl wir auch aggressiv daran gearbeitet haben, die Tiefe bestimmter Bereiche auszubauen, gewann die Öffentlichkeit im Laufe der Zeit zunehmend den Eindruck, dass Nintendo sich auf Freizeit- und Gelegenheitsspiele konzentrierte. Aber Ihre Arbeit hat definitiv die strukturelle Grundlage für Spiele geschaffen, die heute als ernst zu nehmende Spiele gelten, Mr. Miyamoto.

Iwata Asks
Miyamoto:

Na ja ...die Medien neigen dazu, Dinge in Schubladen zu stecken. In diesem Fall heißen diese „Gelegenheitsspiele“ und „ernst zu nehmende Spiele“. So ist es eben einfacher. Aber wie Sie an Spielen wie „The Legend of Zelda“ sehen, arbeiten die Mitarbeiter von Nintendo mit äußerster Detailgenauigkeit und Ernsthaftigkeit. Und da wir dies wissen, haben wir diese Kategorisierungen nie wirklich ernst genommen. Aber einer der wichtigsten Gründe dafür, dass diese beiden Kategorien heute existieren, ist unsere Entscheidung gegen HD bei der Wii-Konsole. Daneben gibt es natürlich noch controller-bezogene Probleme und die damit zusammenhängenden Herausforderungen, Netzwerkfunktionen und viele andere Dinge, aber ich glaube, HD war der wichtigste Faktor – ein Unterschied, der für jedermann verständlich war. Was die HD-Kapazitäten angeht, leistet Wii U etwas Ähnliches, und außerdem ist da noch der neue Controller, der den Spielen eine völlig neue Struktur gibt. Ich glaube, dies ist eine Gelegenheit für die Spiele, die bislang als „ernst zu nehmend“ galten, sich zu etwas strukturell noch Interessanterem zu entwickeln. Insofern würde ich mir wünschen, dass alle Spiele einfach ohne die Debatte „ernst zu nehmend oder nicht“ herauskämen.

Iwata:

Diese Debatte scheint einfach nicht zu knacken zu sein; aber ich habe den Eindruck, dass sich all das mit Wii U ändern könnte. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Barriere zwischen den beiden Genres nur psychologisch war und einfach auf dem Eindruck der Leute beruhte. Die Spiele der „Legend of Zelda“-Serie richteten sich beispielsweise an das härteste Publikum – schon von Anfang an. Es ist also nicht so, als hätten wir bei Nintendo nicht den Willen oder die Fähigkeit. Aber viele Leute gehen einfach davon aus, dass Nintendo für lockere Freizeitspiele steht. Wenn es uns gelingt, diese psychologischen Barrieren mit Wii U zu durchbrechen, werden wir unser Ziel, die Gemeinschaft der Spieler auszuweiten, meiner Meinung nach einen Schritt voranbringen können. Es wäre sogar möglich, unsere Kundenbasis zu erweitern, mehr Leute anzuziehen, von denen einige sich für bestimmte Steuerungen oder Elemente begeistern und irgendwann zu echten Spielefans werden würden. So ist das in der Geschichte der Videospiele immer gewesen, und ich würde diese Tradition gerne aufrecht erhalten. Das ist dann meiner Meinung nach auch die Bedeutung eines „Spieles für jedermann“. Ein Spiel für jedermann ist nicht einfach nur umfassend (weit) sondern auch anspruchsvoll (tief). So kann es jedermann begeistern.

Miyamoto:

Ganz meine Meinung. Ich glaube, unsere Neuerung entwickelt sich zu einem Gerät, dass immer gute Leistung bietet, egal, ob es im Wohn- oder Kinderzimmer seinen Platz findet.

Iwata:

Könnte ich Sie dann bitten, unseren Lesern zum Abschluss dieses Interviews eine Botschaft zukommen zu lassen – jetzt, da Nintendo darauf hinarbeitet, Wii U für seine Kunden bereitzustellen, Mr. Miyamoto?

Miyamoto:

Mal sehen ... Ich glaube, was ich zum Abschluss sagen möchte, ist Folgendes: Videospiele haben eine lange Geschichte und Entwicklung hinter sich. Jetzt braucht man zum Spielen unserer Spiele (für Heimkonsolen) nur noch ein Gerät von Nintendo und nichts anderes. Wir haben uns bisher immer auf den Fernseher gestützt, aber jetzt ziehen wir endlich bei unseren Eltern aus! (lacht)

Iwata:

Stimmt.

Miyamoto:

Ich habe so das Gefühl, dass diese Funktion die Einschränkungen der Heimkonsole sprengen wird, und ich freue mich schon auf die Ideen der Entwickler weltweit. Ich wäre begeistert, wenn die Anwender das Gerät aktiv in ihrem Alltag einsetzen würden.

Iwata Asks
Iwata:

Es kommt darauf an, wie wir unsere Vorstellungen aus langjährigen Debatten verwirklichen können. Wir haben die Vision einer neuen Spielekonsole für das Wohnzimmer und ihrer Verwendung im Alltag. Es ist eine große Verantwortung, aber gleichzeitig ist es auch sehr aufregend. Sie werden sich also bis zum Erscheinen des Geräts richtig reinknien, oder?

Miyamoto:

Oh ja, davon können Sie ausgehen. Ich möchte etwas erschaffen, das vollständig in den Haushalt integriert wird. Ich hoffe, dass sich irgendwann niemand mehr ein Leben ohne das Gerät vorstellen kann.

Iwata:

Ja, es ist ja nicht nur für die Leser dieses Interviews bestimmt, sondern auch für alle ihre Familienmitglieder. Vielen Dank, dass Sie heute hier waren.

Miyamoto:

Ich danke Ihnen.