4. Wertschätzung gegenüber den Spielern

Iwata:

Mr. Inaba, woran arbeitete Irem während Ihrer Zeit dort?

Inaba:

An Arcade-Spielen. Im Gegensatz zu Verbraucherspielen gibt es bei Arcade-Spielen Vor-Ort-Tests.

Iwata:

Vor der Veröffentlichung wird das Spiel in einer Spielhalle aufgestellt, um die Reaktionen der Kunden zu testen.

Inaba:

Als ich es zum ersten Mal erlebte, dass Leute sich bei einem Vor-Ort-Test über ein Spiel begeisterten, an dem ich gearbeitet hatte, kamen mir vor Rührung fast die Tränen. Vor meinen eigenen Augen genossen völlig fremde Leute das Spiel, das ich erschaffen hatte. Und wenn irgendjemand wieder ging und gelangweilt aussah, hätte ich vor Frust fast geheult! (lacht)

Iwata:

Aber wenn dann wieder jemand eine Münze einwirft, ist man wieder auf Wolke sieben. (lacht)

Inaba:

Denen hätte ich am liebsten die Hand geschüttelt! (lacht)

Iwata:

Sie wollten sich auf sie stürzen und Ihnen die Hand drücken? (lacht)

Inaba:

Unbedingt. Damals ging mir auf, wie wichtig es ist, die Spieler wertzuschätzen.

Iwata:

Zu diesem Zeitpunkt waren Sie noch sehr jung.

Inaba:

Ja. Inzwischen sind wir eine Internet-Gesellschaft, sodass man jederzeit alle möglichen Meinungen nachlesen kann; aber damals, im Zeitalter der Spielhallen, hatten wir solche direkten Erfahrungen. Wir spüren daher tief im Innersten, dass das Erstellen von Spielen direkt mit den Spielern zu tun hat.

Iwata:

Im Internet sehen wir Worte, die bewusst formuliert wurden, aber bei den Vor-Ort-Tests in den Spielhallen konnte man alle möglichen Reaktionen sehen – darunter auch solche, derer sich die Spieler selbst gar nicht bewusst waren.

Inaba:

Stimmt.

Iwata:

Diese unbewussten Gesten oder Reaktionen stellen unwahrscheinlich wertvolles Feedback dar.

Inaba:

Oh ja. Wir haben wie Luchse auf jede Bewegung geachtet und diese im Bezug auf das Spiel ausgewertet. Deshalb bin ich so froh, dass ich meine Anfänge bei den Arcade-Spielen erleben konnte. Damals konnte man noch überall mitmischen, sogar beim Innenleben der Hardware. Man hatte also wirklich das Gefühl, alles in der Hand zu haben.

Iwata:

Sie kannten alle Aspekte, einschließlich der Hardware.

Inaba:

Wenn man damals nicht das gesamte Gerät kannte, konnte man kein Spiel machen. Jetzt, bei den Heimkonsolen, ist es fast unmöglich, alles zu verstehen. Deshalb bin ich ja so froh, dass ich eine Zeit erleben konnte, als man die gesamte Struktur der Spielentwicklung noch verstehen konnte. Später ging der Spielanteil des Unternehmens zurück und ich war eine Weile bei einem anderen Entwicklerstudio; aber dann begann Capcom, Entwickler für „Resident Evil“16 zu rekrutieren.16. Resident Evil: Ein Horror-Action-Abenteuerspiel unter der Regie von Shinji Mikami, das Capcom im August 1996 herausbrachte.

Iwata Asks
Iwata:

Das erste Resident-Evil-Spiel?

Inaba:

Nein, das war nach der Veröffentlichung von „Resident Evil 2“.

Minami:

Nach dem Erscheinen des zweiten Spiels der Reihe. Capcom wollte etwas noch Größeres erstellen, hatte aber nicht genügend Leute.

Inaba:

Ich habe mich beworben und bin zu einem Gespräch eingeladen worden. Mir wurde erklärt, dass ich möglicherweise nicht „Resident Evil“ sondern einem anderen Projekt zugeteilt werden würde und ob das in Ordnung sei. Wenn man einen Job an Land ziehen will, ist die logische Antwort natürlich, dass man sich reinhängen wird, ganz egal, was einem zugeteilt wird, aber ich sagte Nein.

Iwata:

Einfach so. (lacht)

Inaba:

Ich wollte unbedingt an „Resident Evil“ arbeiten, daher erklärte ich, dass kein anderes Team in Frage käme.

Minami:

Aber Sie haben nie daran gearbeitet.

Inaba:

Ich weiß! (lacht trocken) Es kam eine Sache zur anderen und ich war nie Teil des Resident-Evil-Teams. Ich stieg bei Capcom ein und arbeitete zunächst als Programmierer. Aber irgendwann wurde dann die gesamte innere Organisation umstrukturiert und jeder landete auf einem neuen Platz. Damals fragte mich mein damaliger Boss Shinji Mikami17 plötzlich, ob ich es mal als Producer versuchen wolle. Und ich hatte schon länger den Wunsch gehegt, mal ein ganzes Projekt zu leiten.17. Shinji Mikami: Früherer Leiter der Entwicklungsabteilung 4 bei Capcom. Er führte Regie und produzierte die Resident-Evil-Serie bis zum vierten Teil. Derzeit ist er Produktionsleiter in dem Spieleplanungs- und Entwicklerstudio Tango Gameworks.

Iwata:

Wie viele Jahre waren vergangen, seit Sie dort angefangen hatten?

Inaba:

Ich glaube das war ungefähr zwei Jahre, nachdem ich zu Capcom gekommen war.

Iwata:

Selbst angesichts Ihrer vorangegangenen Berufserfahrung hatten Sie noch keine sehr lange Karriere hinter sich.

Inaba:

Nein, diese Ernennung war wohl eher ungewöhnlich.

Iwata:

Sie waren noch sehr jung und hatten offen gesagt auch noch nicht allzu viele Jahre Erfahrung – warum also hat man Ihnen Ihrer Meinung nach so viel Verantwortung als Producer übertragen?

Inaba:

Das liegt wahrscheinlich zumindest teilweise an meiner Persönlichkeit. Ich bin immer sehr gerade heraus. Wenn ich etwas will – wie bei diesem Bewerbungsgespräch – dann kann ich mich einfach nicht zurückhalten. Ich glaube, das bringt Mr. Minami eine Menge Ärger ein und sorgt regelmäßig für Fassungslosigkeit. Auch jetzt! (lacht)

Minami:

Oh ja! (lacht)

Inaba:

Wenn ich mit der Entwicklung unzufrieden bin, merke ich, dass ich die Sache in die Hand nehmen und die Leitung an mich reißen will.

Iwata:

Sie sagen, was Ihnen nicht passt, und handeln eigenständig.

Inaba:

Ja. Und Capcom als Unternehmen hieß Leute wie mich willkommen und wusste sie zu schätzen. Das war mein Glück.

Iwata:

So in etwa nach dem Motto „Wer aus der Reihe tanzt, bekommt ein Solo.“

Iwata Asks
Inaba:

Ja, so könnte man sagen. Und mein Wesen hat sich seitdem nicht verändert. Aber ich glaube, meine Direktheit, besonders in so jungem Alter, machte mich zu einem ziemlichen Rüpel.

Minami:

Mm-hm. (lacht)

Inaba:

Ich bin ja nicht nur innerhalb des Unternehmens so mit den Leuten umgegangen, sondern auch außerhalb. Ich konnte mich einfach nicht zurückhalten. Und wenn ich etwas gesagt hatte, musste ich natürlich auch danach handeln.

Iwata:

Sie mussten Ihren Worten auch Taten folgen lassen.

Minami:

Ich kann mich noch gut daran erinnern, als Mr. Inaba Producer wurde. Sein Chef, Mr. Mikam, kam mit ihm und Hiroyuki Kobayashi18, der immer noch bei Capcom ist, zu mir und erklärte, dass diese beiden jetzt Producer werden würden. Das war unsere erste Begegnung.18. Hiroyuki Kobayashi: Producer bei Capcom. Zu seinen Arbeiten gehören die Serien „Resident Evil“, „Dino Crisis“ und „Sengoku Basara“.

Iwata Asks
Inaba:

Ja, stimmt. Während ich bei Capcom war, habe ich so gut wie nie mit Mr. Minami zusammengearbeitet. Aber ich habe ihn oft um Rat gefragt.

Iwata:

Verstehe.

Inaba:

Mr. Minami, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, haben Sie mich gründlich durchgecheckt, nicht wahr? (lacht)

Minami:

Wir haben über alles Mögliche gesprochen. Ich habe mich damals gefragt: „Wer sind denn diese beiden Grünschnäbel bloß?“ (lacht)

Inaba:

Und das hat sich auch nicht geändert! (lacht)

Iwata:

Und kurz darauf haben wir uns kennengelernt.

Minami:

Ah ja, stimmt.

Iwata:

Das war ungefähr zu der Zeit, als Mr. Mikami mit der Entwicklung für das Nintendo GameCube19-System begann.19. Nintendo GameCube: Eine Heimkonsole für Videospiele, die 2002 von Nintendo herausgebracht wurde.

Minami:

Genau. Ich habe an „Resident Evil Zero“20 gearbeitet und im Zuge des Projekts auch gemeinsam mit Mr. Inaba Nintendo besucht, wo wir eingehende Gespräche hatten.20. Resident Evil Zero: Ein Survival-Horror-Spiel, das Capcom im März 2003 für das Nintendo GameCube-System veröffentlichte.

Iwata:

Wir kennen uns alle schon über 12 Jahre!

Minami:

Meine Güte, ist das wirklich schon so lange her?