5. Neujahrsnudeln und ein Dutzend Weintrauben

Iwata:

Animal Crossing für den Nintendo 64 wurde nur in Japan veröffentlicht, so dass das Spiel zunächst nur auf den japanischen Geschmack zugeschnitten war. Aber da die folgenden Titel dann auch in anderen Regionen veröffentlicht wurden, erschienen allmählich auch ausländische Ereignisse im Spiel. Ich kann mir vorstellen, dass Sie alle auf diese Weise viel über die Feste der ganzen Welt erfahren haben.

Takahashi:

Ja, das stimmt.

Moro:

Als wir zum Beispiel das Spiel für den Nintendo DS erstellten, versuchten wir, nur gemeinsame Ereignisse einzubauen, um die Lokalisierung der Spiele im Ausland zu erleichtern. Dennoch schätzen es Japaner, wenn ganz typische japanische Feierlichkeiten, wie Setsubun12 und Tanabata13, im Spiel erscheinen, weil diese Ihnen die Spielwelt vertrauter erscheinen lassen. 12. Setsubun: Ein japanisches Fest zum Frühlingsanfang, bei dem die Leute mit gerösteten Sojabohnen – auch “Glücksbohnen” genannt – werfen, um das Böse des vorigen Jahres zu vertreiben und Glück für das kommende Jahr zu bringen. 13. Tanabata: Auch bekannt als japanisches Sternenfestival. Bei Tanabata schreiben die Leute ihre Wünsche auf farbige Papierstreifen und hängen diese am 7. Juli draußen vor dem Haus an Bambusstämmen auf. Wörtlich übersetzt bedeutet das Wort „siebenter Abend“.

Iwata:

Kommen also Ereignisse im Spiel vor, die die Leute aus ihrem persönlichen Leben kennen, dann spüren diese eine stärkere Verbindung zwischen dem Spiel und der realen Welt.

Kyogoku:

Ja, so ist es. Am Silvesterabend möchten wir gern Buchweizennudeln essen, doch leider ist diese Tradition den Leuten außerhalb Japans unbekannt.

Iwata:

Ach, ja – das stimmt! (lacht)

Kyogoku:

Daher haben wir nachgeforscht, was die Leute in anderen Ländern in der Silvesternacht machen und haben auch unsere ausländischen Niederlassungen dazu befragt. Mancherorts stößt man mit Sekt an oder isst ein Dutzend Weintrauben.

Iwata:

Ehrlich? Manche Leute essen zwölf Weintrauben zu Silvester? Das ist mir völlig neu! (lacht)

Kyogoku:

In Spanien ist es Brauch, an Silvester zwölf Weintrauben zu verspeisen.

Iwata:

Stimmt das?

Moro:

Von unseren europäischen Mitarbeitern wurden diese Weintrauben als Item vorgeschlagen. (lacht)

Kyogoku:

Aber weil wir dieser Tradition noch nie beigewohnt hatten, wussten wir nicht genau, ob die Weintrauben auf einem Teller oder in einer Schüssel serviert werden. Und weil wir noch nicht mal die Art von Trauben kannten, haben wir eine Skizze gemacht...

Moro:

Die Kommunikation mit dem Team in Spanien ging hin und her. Wir fragten immer, ob es so in Ordnung sei oder so und bekamen schließlich die Zustimmung. (lacht)

Iwata:

Auf diese Weise erlernten Sie also alle möglichen Dinge, mit denen sich nur Leute auskennen, die viele Erfahrungen mit fremden Kulturen haben.

Kyogoku:

Ja. Bei diesem Spiel haben wir fremde Bräuche für den ausländischen Markt aufgenommen, während wir für die japanische Version solche Traditionen aufnahmen, die nur Japaner verstehen, nämlich Bohnen zu werfen und Sushi-Rollen in einer bestimmten Position zu essen, die bei Setsubun als glücksbringend angesehen wird.

Moro:

Übrigens haben wir, als wir uns näher mit dem Brauch des Sushi-Rollen-Essens beschäftigten, herausgefunden, dass nur die vier Himmelsrichtungen als glücksbringend angesehen werden können.

Iwata:

Ach, ist das so?

Kyogoku:

Jedes Jahr wird in Japan ungefähr folgendermaßen die glücksbringende Richtung angekündigt: “Diese Jahr liegt die Glücksrichtung bei Süd, Süd-Ost.” Aber tatsächlich ist die Glücksrichtung ja nur eine der vier Himmelsrichtungen.

Iwata:

Ach, stimmt das? Und an Setsuban dürfen die Spieler dann eine Sushi-Rolle verspeisen?

Iwata Asks
Takahashi:

Ja. Und nicht nur die Spieler – auch die Tiere dürfen sich am Sushi gütlich tun.

Kyogoku:

Und diese befinden sich beim Essen auch in der richtigen Position! (lacht)

Iwata:

Dann haben Sie es wirklich so weit getrieben? (lacht)

Alle:

(Gelächter)

Kyogoku:

Zunächst waren wir der Auffassung, dass nach all den Mühen, die uns die Erstellung der Sushi-Rollen bereitet hatte, auch die Tiere diese essen sollten.

Moro:

Doch dann schlug ein Programmierer vor, die Tiere diese auch in der richtigen Position essen zu lassen. Er sah sich die Sache näher an und hat sie tatsächlich umgesetzt.

Takahashi:

Und das Alles zur Feier eines Tages! (lacht)

Alle:

(Gelächter)

Moro:

Innerhalb des Teams wurden schon Zweifel geäußert, ob es nicht Zeitverschwendung sei, so viel Arbeit in solch ein kleines Detail zu investieren, aber als wir dann erklärten, dass er nur darum ging, die Tiere in eine der vier Himmelsrichtungen auszurichten, war das Team einverstanden. (lacht)

Kyogoku:

Bei der Entwicklung dieses Titels fragten sich die Leute manchmal, ob manche Sachen nicht Zeitverschwendung seien, doch die Leute, die ja für unterschiedliche Aspekte der Entwicklung verantwortlich waren, nahmen diese Ideenfindung selbst auf sich, ohne dass sie dazu aufgefordert worden wären. Anschließend diskutierten sie über die Ideen, so dass hierdurch eine Vielzahl interessanter Elemente entstanden sind, die sich heute im Spiel wiederfinden.

Iwata:

Die Sushi-Rollen zu Setsubun sind also nur eine der vielen spaßigen Ideen.

Moro:

Ja, Wir haben alle möglichen Dinge aufgenommen, die die Aufmerksamkeit der Leute erregen und diese das Spiel auf ihre eigene Art genießen lassen.

Iwata:

Bei jedem Menschen ist es etwas anderes, das die Aufmerksamkeit erregt. Doch gerade das macht das Wesen von Animal Crossing aus, denn dieses Spiel ist geradezu gespickt mit Details, die darauf warten, die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen.

Moro:

Ja, das stimmt.

Takahashi:

Was wir wirklich vermeiden wollten, war, dass sich Leute von einem Element des Spiels angezogen fühlen und am Ende enttäuscht sind, weil es nicht die Erwartungen erfüllte. Um dies zu vermeiden, haben wir uns zusammengesetzt und darüber diskutiert, wie wir alle eingebrachten Elemente verwirklichen und diesen wirkliche Tiefe verleihen könnten.

Moro:

Wenn die Leute sich näher mit einem bestimmten Aspekt des Spiels beschäftigen, der sie besonders anspricht, werden sie diese unglaubliche Tiefe spüren.

Iwata:

Es ist richtig, dass man beim Spielen das Gefühl hat, das Spiel übersteige alle Erwartungen. Man denkt: „Wow, das alles kann man tatsächlich machen!“ Diese Reaktion bei den Spielern zu bemerken, muss Sie als Entwickler doch unglaublich glücklich machen – das allein rechtfertigt schon Ihre harte Arbeit.

Moro:

Ja, das tut es.

Iwata:

Die Sushi-Rollen zu Setsubun tauchen also in den außerhalb von Japan veröffentlichten Versionen gar nicht auf?

Kyogoku:

Diese Sushi-Rollen gibt es nur zu Setsubun und auch nur in der japanischen Spielversion. Wenn jedoch ausländische Besucher die Städte japanischer Spieler besuchen, dann können auch die Besucher diese kaufen.

Iwata Asks
Iwata:

Wirklich? Gilt das Gleiche auch für die zwölf Weintrauben?

Kyogoku:

Ja, genau. Spielt jemand die nordamerikanische oder europäische Version auf Spanisch und besucht jemanden, der die spanische Version spielt, dann kann man auch die Weintrauben bekommen.

Iwata:

Kann also auch ein ausländischer Spieler, der einen japanischen Spieler zu Silvester besucht, japanische Glücksnudeln geschenkt bekommen?

Kyogoku:

Ja, das kann er. Dann könnten Sie sagen: „Das ist hier so Brauch…“

Moro:

Jetzt stelle ich mir ein hübsches Gespräch vor, bei dem einer den anderen fragt, warum er Buchweizennudeln isst, und der andere daraufhin erwidert, warum der erste denn Weintrauben isst.

Iwata:

Ach, das gefällt mir! (lacht) Auf diese Weise lässt sich wirklich der internationale kulturelle Austausch fördern! Das finde ich ganz sensationell!

Alle:

(Gelächter)