2. Die Software interessiert Forscher

Iwata:

Erzählen Sie uns doch über die Art der Forschungen, die Sie seit dem Beginn Ihrer Arbeit beim Nationalen Gesundheits- und Ernährungsinstitut betrieben haben. Wo kam "Wii Fit" ins Spiel?

Miyachi:

Ich habe untersucht, welche Auswirkungen Training und körperliche Aktivität auf verschiedene Risikofaktoren für kardiologische Erkrankungen haben, insbesondere Herzerkrankungen und Schlaganfälle.

Iwata:

Ah, ich verstehe.

Miyachi:

Ich habe mich besonders auf die Härtung der Arterien konzentriert. Meine Forschung sollte belegen, ob Training und körperliche Aktivität einen positiven Einfluss darauf haben.

Iwata:

Zu welchen Ergebnissen kamen Sie bei Ihren Forschungen?

Miyachi:

Es wird allgemein angenommen, dass Sport Krankheiten für Herzerkrankungen verhindern kann, während Sport gleichzeitig die Arterien weicher macht. Leider musste ich nach mehreren Testreihen feststellen, dass man nicht so einfach annehmen kann, jedweder Sport wäre vorteilhaft.

Iwata:

Also hängt es von der Art der Übung ab?

Miyachi:

Genauso ist es. Nehmen wir Spieler von American Football als Beispiel. Sie trainieren oft an Gewichtmaschinen, um ihren Oberkörper zu stärken. Wenn sie diese Art von Training betreiben, konzentrieren Sie Ihre ganze Kraft auf...

Iwata:

Sie halten ihre Luft an, was bedeutet, sie verbrauchen keinen Sauerstoff.

Miyachi:

Ja, sie atmen nicht richtig durch. Wenn man sich dieser Art von anaeroben Muskeltraining widmet, härtet das die Arterien sogar.

Iwata:

Dieses Training härtet also die Arterien und ist nicht gut?

Miyachi:

Genau.

Iwata:

Um also seine Gesundheit zu stärken, ist Muskeltraining nicht unbedingt nötig...

Miyachi:

Nun ja, nicht all seine Auswirkungen sind vorteilhaft. Natürlich kann man nicht behaupten, dieses Training wäre nur schädlich – es gibt jede Menge Vorteile, die man dadurch gewinnt.

Iwata:

Man bekommt oft zu hören, wenn man nicht so viel Muskelmasse hat, liegt der Grundumsatz niedriger, wodurch Gewichtszunahme viel wahrscheinlicher ist. Das bedeutet, auch wenn Muskeltraining seine Bedeutung hat, sind Übungen, bei denen man seine Luft anhält, keine gute Sache.

Miyachi:

Genau. Man sollte sich nicht auf diese Art von Übungen beschränken. Zahlreiche Personen haben erfreulicherweise Interesse an meinen Forschungen auf diesem Gebiet gezeigt. Anhand der Entwürfe der Übungs-Richtlinien, haben sie in einem gewissen Ausmaß den irrtümlichen Glauben abgelegt, dass alle sportlichen Aktivitäten gut für sie seien. Ich glaube, es ist enorm wichtig, objektive Beweise zu finden, um herauszufinden, welche Art von Übungen gut und welche schlecht sind. Das sickert in das allgemeine Bewusstsein der Bevölkerung langsam durch...

Iwata:

Sie haben gerade ganz nebenbei das Wort "Beweise" verwendet. (lacht)

Iwata Asks
Miyachi:

(lacht)

Iwata:

Dieses Wort bekommen wir in unserem Alltag nicht allzu oft zu hören. In der Welt der Medizin bezieht sich dieses Wort, glaube ich, auf die Durchführung von praktischen Tests und die Ermittlung von Statistiken für physische Gründe und Auswirkungen, um Ihre Schlussfolgerungen zu untermauern.

Miyachi:

Da haben Sie Recht.

Iwata:

Dann habe ich es also richtig verstanden?

Miyachi:

Sie haben es treffend ausgedrückt!

Iwata:

Dafür gibt es sogar einen Ausdruck, EBM, der steht für nachweisorientierte Medizin (engl. evidence-based medicine, Anm. d. Red).

Miyachi:

Richtig! Der Ausdruck bezieht sich auf medizinische Entscheidungen, die auf Ergebnissen aus akademischer Forschung beruhen. Soweit die Theorie. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass Akademiker oftmals auf das Ergebnis ihrer Forschungen blicken und sagen: "Das ist die richtige Antwort!" Meine Verantwortung liegt aber noch weiter. Ich muss meine eigenen Forschungen mit einem skeptischen Auge betrachten. "Stimmt es wirklich, was Miyachi da von sich gibt?", muss ich mich fragen. Das bedeutet, ich muss ständig einen Überblick darüber behalten, was jeder andere Forscher herausfindet und welche Daten er dabei ermittelt. Erst, wenn ich all diese Informationen zusammentrage, beginne ich langsam zu erkennen, was die nächste richtige Vorgehensweise ist.

Iwata:

Ich verstehe. Doch lassen Sie uns das Thema ein klein wenig wechseln. Ich glaube, es gibt jede Menge Leute, die früher regelmäßig Sport betrieben haben. Wenn sie erwachsen werden, sind sie aber zu beschäftigt und haben einfach keine Zeit mehr dafür. Sobald sie aber wieder eine Möglichkeit finden, aktiv zu sein, erleben Sie das Gefühl wieder, wie es ist, mal wieder ins Schwitzen zu kommen.

Miyachi:

Ja, da liegen Sie richtig.

Iwata:

Wenn man diesen Umstand betrachtet, würde ich sagen, wenn wir es schaffen würden, diese Personen zu motivieren, auch nur einmal wieder etwas zu machen, dann wäre das sehr wichtig. Aus der Sicht Ihrer Forschungen, was würden Sie dazu sagen?

Miyachi:

Aus der Sicht der Personen, die auf diesem Gebiet Forschung betreiben, ist das ein Umstand, der für uns am schwersten zu verstehen ist.

Iwata:

Warum ist das so?

Miyachi:

Wir können uns einfach nicht vorstellen, warum manche Personen diesen ersten Schritt machen und mit einem Training beginnen, oder, um es anders herum auszudrücken, warum manche Personen partout nicht trainieren wollen. Deshalb sind wir am Ende dazu verdonnert, beispielsweise nur Personen Vorschläge zu machen, die ohnehin bereit sind, sich sportlich zu betätigen...

Iwata:

Und das bedeutet wiederum, dass Personen, die bereits gesund gelebt haben, noch gesünder werden...

Miyachi:

Und Personen, die es nicht sind, führen weiter eine ungesunde Lebensweise.

Iwata:

Es ist sehr schwer, diese Möglichkeiten zu schaffen...

Miyachi:

Außerdem können wir den physischen Mechanismus nicht wirklich nachvollziehen, der dafür zuständig ist, warum Personen, die in ihrer Jungend viel Sport getrieben haben, nicht mehr trainieren wollen, wenn sie erwachsen werden.

Iwata:

Das würde bedeuten, man müsste sich die emotionale Veranlagung der Personen und ihre Willenskraft genau ansehen, das könnte...

Miyachi:

...das bedürfte Methoden, die das Gehirn und die Psyche analysieren. Wenn Sie sich Substanzen wie Nikotin in Zigaretten ansehen, ist es relativ einfach, es löst einen Wunsch aus zu rauchen. Welche Faktoren den Wunsch auslösen können, sich körperlich zu betätigen, können wir dagegen nicht ermitteln. Obwohl wir diesen Mechanismus nicht kennen, versuchen wir trotzdem Wege zu finden, Leute zum Sport zu ermutigen.

Iwata:

Das ist etwas, das ich schon immer sehr seltsam fand. Wenn man in einer Situation steckt, in der Sport eine Weile lang nicht möglich ist, und später schafft man es doch einmal, fühlt es sich großartig an. Sehr häufig entscheidet man dann, dass man es wieder machen möchte.

Miyachi:

Vielleicht ist just in diesem Zeitpunkt eine Art Substanz im menschlichen Körper...

Iwata:

Ich frage mich, was das sein könnte! (lacht)

Miyachi:

Es könnte eine Art Substanz sein, die produziert wird. Oder das Gehirn erinnert sich an das angenehme Gefühl und lässt den Menschen erkennen, dass ein Fortsetzen dieser Aktivität sehr erfreulich wäre. Ich glaube aber, hier ist eine Art Substanz im Spiel, die das zumindest mitbeeinflusst.

Iwata Asks
Iwata:

Es kommt mir schon etwas seltsam vor, dass man überhaupt gewollt ins Schwitzen kommen und sich verausgaben möchte.

Miyachi:

Da ist in der Tat etwas Mysteriöses dran. Warum aber denken wir das? Wir wären zu dieser Denkweise nicht in der Lage, es sei denn, etwas ruft eine Reaktion im Körper hervor. Ich weiß nicht, was es sein könnte, aber ich habe diesem Zustand, dieser Substanz, einen Namen gegeben: "Rakutin".

Iwata:

"Rakutin"? Das stammt doch aus dem Wort "rakuchin" (dieser japanische Begriff bedeutet in etwa "angenehm" oder "es ruhig angehen")? (lacht)

Miyachi:

Genau! (lacht) Appetit hat die Forschung bestätigt, und ich drücke das vereinfacht aus: Wenn man nach einem guten Mahl satt ist, stößt der Körper ein Hormon namens Leptin aus. Der Teil des Gehirns, der für die Sattheit zuständig ist und den Magen steuert, wird dann so stimuliert, dass der Mensch keinen Hunger mehr verspürt. Daraus leite ich auch den Begriff "Rakutin" ab. Wenn ein Mensch es also ruhig angehen möchte, wird eine bestimmte Substanz in seinem Körper freigegeben, die ihm die Lust an Sport vertreibt. Wenn wir also dieses "Rakutin" irgendwie zügeln könnten, würden die Leute einen großen Wunsch verspüren, Sport zu treiben!

Iwata:

(lacht)

Miyachi:

Was also ist dieses "rakutin"...? Es könnte umgekehrt ein Molekül sein, dass den Wunsch nach Aktivität auslöst, oder es könnte ein Typ Molekül sein, der den Wunsch unterbindet. Ich bin mir nicht sicher, was es ist, aber ich bin überzeugt, es ist sehr wichtig, dass wir Forscher es herausfinden. Ich glaube sogar, meine Arbeit bietet die Möglichkeit, dieses Vorhaben voranzutreiben.

Iwata:

Wie meinen Sie das?

Miyachi:

Software wie "Wii Fit" hat ein riesiges Potenzial, Menschen zu motivieren, aktiv zu sein. Wenn wir untersuchen könnten, welche Änderungen in den Gehirnen und Körpern der Spieler stattfinden, könnten wir ein Molekül wie "Rakutin" aufdecken. In anderen Worten: Weil sie das Verhalten der Menschen verändern, ist "Wii Fit" und die Wii-Konsole selbst von großem Interesse für Forscher wie mich.