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Okay, damit ist die Einführung zu meiner Geschichte als Spieleentwickler zu Ende. Ich möchte mich nun dem heutigen Thema zuwenden.

Iwata Asks

 

Warum steht heute jemand wie ich hier? Worüber hat sich Mr. Iwata Gedanken gemacht?

Mr. Iwata interessierte sich für meine Methoden als Spieleentwickler und dies veranlasste mich zu dem Thema der Präsentation, die ich heute hier halte.

Mr. Iwata fragte sich, wie die gleiche Person an einem ernsthaften Spiel mit einer komplexen Story wie “METROID: Other M” und gleichzeitig an witzigen und spleenigen Titeln wie “TOMODACHI COLLECTION” und “WarioWare: D.I.Y” arbeiten konnte. Er suchte nach einer Erklärung für meine Einstellung und Vorgehensweise bei der Erstellung von vollständig gegensätzlichen Videospielen.

Iwata Asks

 

“Wenn man versucht, das Geheimnis der Erschaffung solch einer dynamischen Spanne von Titeln zu ergründen, kommt bestimmt etwas Interessantes dabei heraus. Warum sprechen Sie nicht bei der GDC darüber?”...

Als Mr. Iwata mich das fragte, war ich selbst etwas perplex, weil ich noch nie aktiv darüber nachgedacht habe.

Es stimmt, dass dies ganz unterschiedliche Stilrichtungen sind. Und ich bin schon sehr oft darauf angesprochen worden. Welche Vorgehensweise habe ich als Produzent bei jedem der Titel angelegt? Und was bedeutet es überhaupt, als Produzent zu arbeiten? Nachdem ich richtig darüber nachgedacht hatte, wurde mir klar, wie schwer es ist, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Ich bin nicht besonders gut darin, intuitive Prozesse logisch zu erklären, aber jetzt wo ich schon mal die Gelegenheit dazu habe…

beschloss ich, meine “eigenen Ideen bei der Erschaffung von Spielen” zu analysieren.

Iwata Asks

 

Okay, um meine Erklärung leichter verständlich zu machen, werde ich die verschiedenen Spieltypen benennen – Spiele vom Typ METROID werd ich als “ernsthaft” und Spiele vom Wario-Type als “lustig” bezeichnen. Mr. Iwata findet es übrigens nicht seltsam, dass ich gleichzeitig an diametral entgegengesetzten Projekten vom “ernsthaften” und “lustigen” Typ arbeiten kann. Es überrascht ihn eher, dass ich überhaupt in der Lage bin, etwas „Ernsthaftes“ hervorzubringen. Ich bin mir durchaus bewusst, dass Mr. Iwata mich als eine Art Komiker wahrnimmt.

Iwata Asks

 

Ich möchte gern einen Moment lang innehalten und Ihnen von einem Filmregisseur aus meiner Jugend erzählen. Sein Name ist Dario Argento17, und er ist ein italienischer Filmemacher. Am bekanntesten sind seine Filme Suspiria18, und Deep Red19. Zweifellos habe ich mich in meiner Kreativität am meisten von Deep Red inspirieren lassen. Ich habe mich schon immer für Horrorfilme interessiert, aber früher gab es eigentlich keinen, den ich wirklich durchschaut habe. Ich hatte immer das frustrierende Gefühl, dass irgendetwas fehlte. Das war so bis ich auf Argentos Filme stieß. Ich war verblüfft von der Originalität seiner Techniken. Das war der Stil, nach dem ich immer gesucht hatte. Mir wurde zweifellos klar, dass ich Dinge nach der Art von Argento entwickeln wollte. Auf diese Weise sind mir die Elemente seiner Technik verständlich geworden

17 Dario Argento ist ein italienischer Filmregisseur, der an einer Vielzahl von Horrorfilmen beteiligt war.

18 Suspiria ist ein Horrorfilm aus dem Jahre 1977. Er wurde für den Slogan (übersetzt aus dem Japanischen) bekannt: „Sehen Sie sich diesen Film bloß nicht allein an.“

19 Deep Red kam in Japan 1978 heraus und wurde dort als ‘Suspiria Teil 2’ vermarktet.


Als Schöpfer kann man die „Stimmung“, das „Timing,” die „Vorahnung,” und den „Kontrast” steuern, um das Publikum in Angst zu versetzen. Die „Stimmung” wird durch die gewählte Musik erzeugt. Argento verwendete als Musikrichtung „Progressive Rock20“. Das fast schon gleichgültige Echo des steifen, roboterartigen Progressive Rock erzeugt beim Publikum direkt das Gefühl von Terror und ist weitaus effektiver als die Musik jedes anderen Horrorfilms. An speziellen Punkten seiner Szenen hat Argento ganz gezielt die Musik angehalten und Soundeffekte eingesetzt, um die Stimmung zu verändern.

20 Progressive Rock ist ein Genre der Rockmusik, das sich vor allem in Großbritannien Ende der 60er Jahre entwickelt hat. Es enthält Elemente der klassischen Musik und der Rockmusik und verwendet komplexe Kompositionen und Phrasierungen.


Außerdem hat er ganz akribisch das Angstgefühl durch bestimmte Tricks verstärkt. Mit anderen Worten ist er geradezu ein Meister, was das Element der „Vorahnung” angeht und hat damit die Ereignisse ganz wirkungsvoll miteinander verbunden.

Und er hat auf ganz dramatische Weise Handlungen und Szenen einander gegenüber gestellt, um so die Spannung zu verstärken. Da die Werke von Argento meine Sensibilität in meiner Jugend so stark stimuliert haben, konnte ich später meine Arbeit hiervon inspirieren lassen. Bei dem zuvor genannten “Famicom Detective Club Teil II, the Girl Standing Behind”, habe ich die Stimmung, das Timing, die Vorahnung und die Kontrastierung gesteuert. Mit anderen Worten war dieser Titel meine Hommage an Argentos Arbeit.


Diese Erfahrung stärkte mein Selbstvertrauen als Spielproduzent, und ich habe diese Vorgehensweise auch bei den folgenden Titeln angewandt. Mein letztes Projekt “METROID: Other M” bildet hier keine Ausnahme.


Ich habe schon sehr früh gemerkt, dass diese Technik, die Stimmung, das Timing, die Vorahnung und die Kontrastierung zu steuern, auf die ich während meiner Karriere als Spieledesigner gebaut habe, eigentlich nichts Besonderes oder Spezifisches ist. Ich erzähle Ihnen heute trotzdem davon, weil ich Ihnen zeigen möchte, wie sehr ich nach der idealen Methode gesucht habe, das Gefühl der Angst zu erzeugen und wie ich so meine eigenen schöpferischen Stil gefunden habe. Hierüber bin ich mir bewusst geworden, als ich diese Präsentation geschrieben habe. Jetzt, wo ich meine eigene Empfindsamkeit und meinen eigenen kreativen Stil gefunden habe, möchte ich das einfach gern an jemanden weitergeben.

Iwata Asks

 

Nachdem ich Argentos Filme gesehen hatte, fing ich an, mir eine Menge Filme anzusehen. Ich suche nach vielen Möglichkeiten, die Stimmung, das Timing, die Vorahnung und die Gegenüberstellung zu steuern, nicht nur bei Horrorfilmen. Ich habe mir viele verschiedene Arten von Filmen angesehen. Ich bemerkte, dass auch eine Menge von Hinweisen in Kultfilmen versteckt ist. Ich denke, zu dieser Zeit wuchs meine Fähigkeit, Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen. Man könnte dies auch als Tagträumerei bezeichnen. Das klingt jetzt vielleicht wie ein Witz, aber ich fing an, aus einer gegenständlichen Perspektive mit abgestimmten Szenen und eigener Hintergrundmusik zu träumen. Zu der Zeit hätte ich große Lust gehabt, einen guten Film zu machen, aber ich war nicht für großartige Hollywood-Produktionen bestimmt. Heute ist dieses Gefühl sogar noch stärker. Vielleicht geht meine Affinität für Nischenprodukte ja sogar über Spiele hinaus?

Iwata Asks

 

Übrigens gibt es noch ein paar andere Regisseure und Filme, von denen ich mich habe inspirieren lassen. Hier ist zum Beispiel der französische Filmregisseur Luc Besson21 zu nennen. Mir gefällt seine Fähigkeit, Trauer als etwas Tiefgründiges und Schönes darzustellen. Mein Lieblingsfilm von Besson ist “Léon: Der Profi.”22 Ein anderer Regisseur, den ich verehre, ist John Woo23, der zurzeit in Hollywood ganz aktiv ist. Die Filme von Woo aus der Serie “A Better Tomorrow”24, die er während seiner Zeit in Hong Kong gemacht hat, hatten auf mich eine besondere Wirkung. Die Trauer, die aus dem von ihm geschaffenen Chaos entsteht, ist großartig. Ich konnte zu der Zeit viel aus den fast schon schmerzlichen Bildern der Filmszene in Hong Kong lernen. Inspiriert wurde ich auch von Brian De Palma25. Die starke letzte Szene von Carrie26 war für mich ein wichtiger Wegweiser.

21 Luc Besson ist ein französischer Filmregisseur, der unter anderem für die Filme Léon und The Transporter verantwortlich ist.

22 Léon – Der Profi ist ein Action-Film aus dem Jahre 1995, bei dem Jean Reno und Natalie Portman die Hauptrollen spielten.

23 John Woo ist ein chinesischer Filmregisseur, der unter anderem für Titel wie Im Körper des Feindes, Mission Impossible 2 und Red Cliff verantwortlich war.

24 A Better Tomorrow ist ein Action-Film aus dem Jahre 1987, bei dem Ti Lung und Chow Yun-fat die Hauptrollen spielten und John Woo Regie führte.

25 Brian de Palma ist ein amerikanischer Filmregisseur, der unter anderem für Titel wie Scarface, The Untouchables und Mission Impossible verantwortlich ist.

26 Carrie ist die Verfilmung eines Horrorromans von Stephen King aus dem Jahre 1977. Hierbei führte Brian de Palma Regie.


Ich möchte noch eine Sache zu Filmen sagen. Ich habe viele Filme gesehen und war auf vielfältige Weise von diesen bewegt, aber ich bin kein Filmfanatiker. Ich habe nicht jeden Film der zuvor genannten Regisseure und auch nicht überdurchschnittlich viele Filme gesehen. Ich empfinde große Bewunderung für diese Regisseure, aber ich habe hier keinen Komplex und versuche nicht, so wie sie zu sein. Ihre Filme haben mich lediglich inspiriert und bewegt, und dies hat meine Art, Videospiele zu machen, geprägt. Sie haben mir geholfen, das in mir hervorzubringen.


Wenn ich anfange, darüber zu reden, kann ich kein Ende mehr finden. Also belasse ich es dabei. Vielleicht klingt es vermessen, aber ich glaube, dass man den Einfluss, den diese großen Regisseure auf mich hatten, an den Titeln erkennen kann, an denen ich gearbeitet habe. Insgeheim bin ich gespannt, ob die Spieler diese Einflüsse bemerken, wenn sie in naher Zukunft “Other M” spielen.

Iwata Asks

 

Wenngleich ich bei Filmen nach Inspirationen gesucht habe, ist das nicht alles, was mich interessiert. Zu meinen zahlreichen Hobbies zählte lange Zeit die Musik. Ich war ein richtiger Musik-Freak, insbesondere weil diese mit Bildern synchronisiert werden kann. Ein weiteres Hobby ist eines, das ich schon als Jugendlicher hatte und immer noch habe, nämlich „die Komödie.“

Ich liebe witzige Dinge und Dinge, die mich zum Lachen bringen. Ist hier irgendwo ein Lacher versteckt? Kann ich hier etwas Lustiges finden? Tagsüber suche ich oft nach so etwas. Wenn man mich fragt, ob ich gern lache, dann würde ich das natürlich bejahen, aber eigentlich möchte ich auch gern andere zum Lachen bringen. Ich bin aber trotzdem kein Komiker, ich kann keine Menschenmengen in Verzückung versetzen. Ich bin schon glücklich, wenn ich meinem eigenen Leben ein bisschen mehr Pep verleihen und dafür sorgen kann, dass die Leute um mich herum eine schöne Zeit haben. … Das ist alles, was ich will. Wenn ich das so sage, haben Sie vielleicht den Eindruck, ich würde das alles zu leicht nehmen, aber eigentlich bin ich schon sehr genau in dieser Beziehung.

Ich arbeite unermüdlich, um meine Sinne zu schärfen, und wenn ich auf Material stoße, das ich irgendwie verwenden kann, dann lege ich es weg für später. Ich sammle so viel verschiedenes Material wie möglich – um für jede Situation und jedes Publikum gewappnet zu sein. Ich achte aber auch darauf, dass das, was ich aufbewahre, zu meinem persönlichen Stil passt.

Und wenn es mir einfällt, dann nehme ich mein bestes Material und spiele damit im Kopf die Situation durch, in der ich es verwenden würde, um es so bestmöglich einzusetzen. Ich habe mir vorher noch nie Gedanken darüber gemacht, warum ich das so weit durchdenke. Aber beim Schreiben dieser Rede wurde mir klar, dass ich damit die Publikumsreaktion steuern möchte – ich möchte das “Lachen” konstruieren.

Außerdem werden letztendlich als Techniken Stimmung, Timing, Vorahnung und Kontrastierung eingesetzt. In diesem Falle sollte man, anstatt eine Stimmung für eine Szene zu ERSCHAFFEN, lieber versuchen, abzulesen, welche Stimmung schon besteht und dieser etwas Raum geben, um sich zu entfalten. Bei der Komödie kommt es so sehr auf das Timing an: In einer größeren Gruppe kommt es beispielsweise auf den Moment an, in dem alle Leute still sind - diese Pause in der Kommunikation – wenn Sie diesen Moment verpasst haben, ist er unwiederbringlich vorbei. Eine Konversation so zu steuern, als würde man eine witzige Bemerkung perfekt planen, ähnelt einem Autor, der das Element der Vorahnung einsetzt. Und es versteht sich von selbst, wie wichtig es ist, das Element der Kontrastierung mit einer gewissen Dringlichkeit einzusetzen.

Iwata Asks

 

Ich glaube, wir nähern uns jetzt dem Kern dessen, „was Mr. Iwata an meiner Art, Videospiele zu entwickeln, mysteriös findet.” Ich glaube, dass meine Vorliebe für die Komödie und der Einfluss, den Filme auf mich haben, meine Vorgehensweise bei “lustigen” und “ernsthaften” Spielen beeinflusst haben. Um mit Mr. Iwatas Worten zu sprechen, sind dies diametral entgegengesetzte Arten von Spielen. Habe ich also beim Umgang mit ihnen eine besondere Haltung oder Vorgehensweise angenommen?

Gleichgültig ob ernsthaft oder lustig, so reagiere ich gleichermaßen stark auf Dinge, die mein Interesse wecken. Und wenn ich denke „Vielleicht könnte ich das später noch einmal gebrauchen“, dann lege ich dieses Material weg und warte auf den richtigen Moment, um es anzubringen. Und die Methoden und Strategien, die ich dabei anwende, sind die gleichen – nämlich durch das Steuern der „Stimmung”, des „Timings”, der „Vorahnung” und der „Kontrastierung”.

Das Gefühl, das man erlebt, wenn man denkt, etwas ist lustig oder cool oder beängstigend, ist genau das gleiche, als wenn einen etwas berührt. Und der Mechanismus, jemanden in so einen Zustand zu versetzen, ist Teil des gleichen Prozesses, gleichgültig um welches Gefühl es sich handelt.

Ein Entwickler muss sich Gedanken machen, wie man das Publikum bewegen und diese Mechanismen steuern kann.

Um diese Steuerungen effizient einzusetzen, muss man alles Mögliche kennenlernen und alles in seinem eigenen Kontext erleben. Wenn man diese Haltung im täglichen Leben annimmt, erhält man eine Fülle an Material, aus dem man schöpfen kann.

Ich denke, die Frage von Mr. Iwata kann folgendermaßen beantwortet werden: Ich hatte einfach sowohl eine Leidenschaft für das Ernste als auch für das Lustige – zwei entgegengesetzte Stilrichtungen – und es war mein Glück, dass ich die Möglichkeiten bekommen habe, die mir heute zur Verfügung stehen.

Um also das heutige Thema “was Mr. Iwata an meinem Stil, bei der Entwicklung von Videospielen mysteriös findet...“ zusammenzufassen...

Iwata Asks

 

Was ist also der Unterschied zwischen meiner Haltung und meiner Vorgehensweise, wenn ich völlig gegensätzliche Spiele entwickle? Um Mr. Iwatas Frage zu beantworten …

Die Antwort ist: “Es gibt da keinen Unterschied in meiner Haltung oder meiner Vorgehensweise.”

Ich denke, es geht mehr um Technik.

Ich denke, das ist die richtige Antwort.

“Solange jemand bereit ist, neue Erfahrungen zu machen und diese in ihrer ganzen Intensität zu spüren, können Sie mit einem einzigen Werkzeugsatz Arbeiten erschaffen und damit die Herzen der Leute in vielerlei Hinsicht bewegen.“

Ich möchte es gern Ihnen überlassen, zu entscheiden, ob das stimmt oder nicht.