3. Von Unsicherheit zu Überzeugung

Iwata:

In den etwa zweieinhalb Jahren, in denen Sie Super Mario Galaxy erschaffen haben, hat sich die Videospiel-Industrie dramatisch verändert. Der Nintendo DS wurde 2004 veröffentlicht und 2005 entstanden mehrere Hits in der Touch!Generations-Serie, die die Definition von Videospielen erweiterten. Im folgenden Jahr erschien Nintendo Wii, und ich denke, Sie alle haben hart an Ihren jeweiligen Aufgaben gearbeitet, während sich in Ihrer Umgebung radikale Veränderungen abspielten. Was dachten Sie während dieser ganzen Zeit?

Shirai:

Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich sehr isoliert, als ich hörte, dass das Hauptquartier in Kyoto nach dem riesigen Erfolg der verschiedenen Hits für den DS so voller Energie war. Ich fühlte mich zurückgelassen. Natürlich war es nur zu unserem Vorteil, dass wir in den Büros in Tokio waren, denn so konnten wir uns auf unsere Arbeit konzentrieren, aber gleichzeitig fühlte es sich so an, als beschäftigten wir uns mit etwas ganz anderem als dem Hauptgeschäftsfeld von Nintendo.

Iwata:

Sie hatten also das Gefühl, dass Sie möglicherweise das genaue Gegenteil von dem tun, was die Öffentlichkeit von Ihnen erwartet?

Shirai:

Ich hatte das Gefühl, die Welt bewegt sich immer mehr in Richtung „Gelegenheitsspiel”. In dieser Zeit hatte ich das Gefühl, niemand würde jemals das spielen, woran wir arbeiteten, also ein Spiel, das sich mehr an den Hardcore-Spieler richtet.

Iwata:

Und wie gingen Sie mit Ihrer Ungewissheit um?

Shirai:

Letztes Jahr, als ich auf der E33 in den USA und auf der Nintendo World 20064 die unglaubliche Menge an Demostationen sah, die nur für Super Mario Galaxy vorbereitet waren, da dachte ich bei mir: „Sie haben uns also nicht vergessen!” 3 Die E3 ist eine Videospielmesse, die jährlich in Los Angeles stattfindet.4 Die Nintendo World 2006 war ein Event zur Vorstellung der Wii-Konsole, das vor Erscheinen von Wii 2006 in drei verschiedenen Städten in Japan abgehalten wurde.

Alle:

(lachen)

Iwata Asks
Iwata:

Wir würden Sie doch nie vergessen! (lacht)

Shirai:

Jetzt glaube ich Ihnen das! (lacht)Ich hatte an den Leveldaten für die Version gearbeitet, die wir auf der E3 gezeigt haben, und ich machte mir zu dieser Zeit viele Gedanken, ob diejenigen, die 3D-Spiele nicht gewöhnt sind, in der Lage sein würden, dieses Spiel problemlos zu spielen. Für solche Leute ist es schwierig, in einer 3D-Landschaft einfach nur geradeaus zu gehen, und ich fragte mich, wie es wohl in einem sphärischen Areal funktionieren würde, das für sie eine vollkommen neue Erfahrung sein würde.Als ich dann diese Menschen spielen sah, bemühte ich mich, die Elemente zu eliminieren, bei denen sie Schwierigkeiten hatten. Aber immer noch war da ein Rest Unsicherheit in mir.

Iwata:

Aber die Kunden hatten Sie auch nicht vergessen! (lacht)

Shirai:

Stimmt! (lacht) Als ich die langen Schlangen bei der Nintendo World sah, war ich glücklich. Da waren so viele Leute, die immer noch ein Spiel wie Mario spielen wollten. Und noch dazu waren da so viele kleine Kinder, einige von ihnen vielleicht gerade mal fünf Jahre alt, die so viel Spaß beim Spielen hatten. Einige der jüngeren Schulkinder schafften es, den Bossgegner zu besiegen, und als ich das sah, da wusste ich ganz sicher: „Das wird funktionieren!“

Iwata:

Bis zu diesem Punkt fühlten Sie sich also wie gestrandet auf einer verlassenen Insel und bei der Nintendo World erschien auf einmal Land und aus der Insel wurde eine Halbinsel. Nun hat Shirai-san uns erzählt, wie aus seiner Unsicherheit Überzeugung wurde – wie war es denn bei den anderen?

Hayashida:

Bis zur letzten Minute vor der E3 im letzten Jahr habe ich die Nächte durchgearbeitet, um die E3-Demoversion fertigzubekommen, also war ich vollkommen übermüdet, als ich ins Flugzeug stieg. Ich war so erschöpft, ich habe sogar vergessen, beim Check-In mein Gepäck aufzugeben! (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata Asks
Hayashida:

Ich kam also auf der E3 in den USA an, und als ich die riesige Menschenmenge sah, die anstand, um Super Mario Galaxy zu spielen, da war meine Müdigkeit wie weggeblasen.

Iwata:

Auf der E3 wurde Super Mario Galaxy sehr gut aufgenommen. Alle sahen aus, als hätten sie sehr viel Spaß beim Spielen.

Hayashida:

Auf der E3 war Super Mario Galaxy im hinteren Teil des Nintendo-Standes aufgebaut. Deshalb dachte ich, es würde sicherlich schwierig werden, die Anwesenden für das Spiel zu begeistern, weil sie auf dem Weg zum Super Mario Galaxy-Stand schon Spiele wie Wii Sports gespielt haben würden. Aber eine überraschende Anzahl von Anwesenden genoss die neue Erfahrung, und da wurde mir klar, dass das Spiel funktionieren würde. In das Spiel sind eine Menge neuer Ideen eingebaut, und obwohl wir stolz auf uns selbst waren, gab es einige Unsicherheiten, bevor wir den Messegästen beim Spielen zusehen konnten.

Shimizu:

Ich muss sagen, als ich das erste Mal mit der Wii-Fernbedienung experimentierte, war ich unsicher, wie man damit ein Spiel machen sollte.

Iwata:

Als Entwickler fragt man sich sicherlich, ob ein 3D-Mario-Jump’n’Run mit der Wii-Fernbedienung überhaupt möglich sein kann, die nur in einer Hand gehalten wird. Die Wii-Fernbedienung bringt eine Welt mit sich, in der das Knowhow aus bisherigen Mario-Spielen nicht verwendet werden kann.

Shimizu:

Aber nachdem Wii auf den Markt kam, und als ich sah, wie gut sie von der Öffentlichkeit aufgenommen wurde, merkte ich, dass die neue Richtung von Wii doch nicht so verkehrt war.

Iwata:

Sie glaubten also nicht an Wii, bis sie veröffentlicht wurde! (lacht)Aber in der Öffentlichkeit gab es viele Leute, die genauso dachten, und ich glaube, dass es für einen Entwickler wichtig ist, so zu denken wie die Öffentlichkeit.

Iwata Asks
Hayashida:

Ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass meine Unsicherheit zu Überzeugung wurde, war der zusätzliche Modus des unterstützenden Spiels. Im Entwicklungsteam gab es Augenblicke, in denen wir die Arbeit vergaßen und uns stattdessen Dinge sagten wie: „Ich wusste echt nicht, wie viel Spaß das unterstützende Spiel macht!“ (lacht)

Shirai:

Direkt neben meinem Platz versammelte sich das Team, um das unterstützende Spiel zu spielen. Direkt neben mir hatten sie so viel Spaß, während ich hart arbeiten musste, ich war richtig neidisch. (lacht) Dazu kam noch, dass ich ihnen zuhören musste, wie sie sich fröhlich über Dinge unterhielten wie: „Achtung! Da ist ein Gegner oben links!“ oder „Wo soll ich jetzt hin?“ Dass man zu zweit so viel Spaß an einem Mario-Spiel haben kann, das ist lange nicht dagewesen. Es fühlte sich sehr frisch an und ich denke, hier liegen große Möglichkeiten für die Zukunft.

Hayashida:

Im ersten Super Mario Bros. musste man sich abwechseln, wenn man zu zweit spielte. Wenn einer einen Versuch verliert, ist der andere dran und sagt: „Jetzt bin ich am Zug.“ Beim unterstützenden Spiel in Super Mario Galaxy können die Spieler sich abwechselnd gegenseitig unterstützen. Dann heißt es: „Jetzt helfe ich dir.“

Shirai:

Außerdem denke ich, Jungs können ihren Freundinnen helfen, die vielleicht nicht so gut im Spielen von Videospielen sind. Ich denke, das dürfte sicher sehr lustig sein.

Iwata:

Es wäre auch toll, wenn solche Menschen, die vorher nur Spiele wie „Gehirn-Jogging” gespielt haben, auf einmal sagen: „Ich will mit Mario spielen!”, wenn ihnen jemand hilft, der schon Erfahrung mit Videospielen hat.

Shirai:

Genau.Das sollten die Leute unbedingt ausprobieren!