6. Japanische RPGs auf der globalen Bühne

Iwata:

Wie würden Sie ein RPG oder Rollenspiel definieren?

Sakaguchi:

Na ja, es gibt bestimmte Grundelemente, wie eine bestimmte Weltsicht, die Handlung, Videosequenzen und Charaktere. Die absolut grundlegenden Elemente sind individuelle Charaktere mit echten Eigenarten und eine einzigartige Weltsicht. Wenn diese beiden Elemente verschmelzen und sozusagen zu den zwei Gipfeln eines Berges werden, dann entspricht das meiner Vorstellung von einem RPG. In meiner Zeit bei Square habe ich oft gesagt, dass ich mal einen interaktiven Film machen werde. Um ehrlich zu sein, habe ich da jetzt andere Ansichten. Ich versuche, diese beiden Zwillingsgipfel beizubehalten, die RPGs aber gleichzeitig in völlig neue Bereiche zu führen.

Takahashi:

Aber wenn ich zurückdenke – Sie haben doch den FF-Film12 gemacht und dann wurde das Online-Spiel entwickelt. Diese haben meines Erachtens ein spürbares Vermächtnis hinterlassen. Ich bin überzeugt, dass die damals erworbenen Kenntnisse der Kultur ihren Stempel aufgedrückt und ganz neue Wege für uns alle eröffnet haben. 12 „Final Fantasy: Die Mächte in dir“ war ein computer-animierter Film, der 2001 erschien. Regie führte Hironobu Sakaguchi.

Sakaguchi:

Aber als ich daran gearbeitet habe, ging mir auf, dass Spiele eben Spiele sind und keine Filme ... (lacht)

Iwata:

Ein Film endet immer zu einer bestimmten vorgegebenen Zeit. Aber Spiele gehen so lange weiter, wie man sie spielen will. Man bringt sie nur zu Ende, wenn man sich bemüht, und aus irgendwelchen Gründen ergibt dies mehr Tiefe, führt zu einem profunderen Erlebnis und sorgt dafür, dass das Spiel mehr Anklang beim Spieler findet.

Takahashi:

Ja, genau.

Iwata:

Ich bin immer auf der Suche nach neuen Wegen, die Spieler zu begeistern, und versuche, herauszufinden, was sie wirklich dazu bringt, sich in eine Spielwelt zu vertiefen. In RPGs können Spieler sich wirklich in die Welt des Spiels projizieren; bei Spielen wie Mario entstehen die Erlebnisse dagegen in den Fingerspitzen des Spielers. Wir sehen diese oft als völlig unterschiedlich an, aber ich denke, dass es im Grunde doch um dieselbe Sache geht. Und wenn es darum geht, diesen Spielen eine einzigartige Würze zu geben, haben Sie beide spezifische Stärken, wogegen Mr. Miyamoto beispielsweise andere hat. Dadurch erhalten Spiele ihren individuellen Ton oder Stil.

Sakaguchi:

Ich habe das Gefühl, dass der Programmierungsaspekt im Bereich der RPGs etwas vernachlässigt wurde.

Iwata:

Ich glaube, es gab mal eine Zeit, als das der Fall war. Es ging primär darum, die Spieler mit wundervollen Grafiken zu beeindrucken, die Programmierung war nur noch zweitrangig.

Sakaguchi:

Aber ich glaube, es ist gleichzeitig eine tolle Zeit für RPGs. Inzwischen sind diejenigen von uns, die RPGs erstellen, sich genauer über die Probleme bewusst, die auftreten können, und das macht die Dinge einfacher. Natürlich ist es trotzdem immer noch eine Herausforderung und es ist sehr anregend, diese Spiele zu entwickeln.

Iwata:

Verstehe. Schön, zum Abschluss des Interviews würde ich Sie gerne fragen, wie Sie die zukünftige Entwicklung von Videospielen sehen.

Sakaguchi:

Natürlich. Also, dieses Mal habe ich verschiedene Ideen und unterschiedliche Ansätze kombiniert und bin damit zu folgender Schlussfolgerung gelangt: Das Entwickeln eines Spiels ist wie das Auffüllen eines Sees Tropfen für Tropfen. Aber wenn man sich vorstellt, dass das Wasser aus einem Tuch tropft, kann man dieses auswringen, sodass die Tropfen dichter und schneller fallen. Für Entertainment gibt es keine festgelegte Antwort, keine allein seligmachende Methode, wie Spiele gemacht werden sollten. Durch Entwicklungen wie das Internet hat sich die Anzahl der Methoden, die man für Spiele nutzen kann, erhöht; und diese Spiele werden nicht von einer einzelnen Person erschaffen. Wenn man sich also eine Gruppe von Leuten vorstellt, die gemeinsam dieses Tuch auswringen, kann dies zu interessanten Ergebnissen führen, wenn der letzte Tropfen herausgedrückt ist.

Iwata Asks
Iwata:

Wenn sich also alle Entwickler über die Grundpfeiler einig sind, aber jeder von ihnen Stück für Stück seine eigenen Ideen beisteuert, kann etwas wirklich Gehaltvolles und Anziehendes entstehen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das diese Art der Arbeit fördert. Bei Ihren Spielen, Mr. Sakaguchi, ist einer der Grundpfeiler wohl dieses Element, dessen sich die Leute im Allgemeinen gar nicht bewusst sind.

Sakaguchi:

Ja, schon möglich. Dieses Mal haben wir den Vorgang wirklich genossen, auch wenn es wirklich schwierig war. Die Atmosphäre insgesamt war einfach fabelhaft.

Iwata:

Und Sie, Mr. Takahashi?

Takahashi:

Für diesen Titel haben wir all die Elemente definiert, die für ein RPG erforderlich sind, haben ausgerechnet, welche Produktivität von den einzelnen Mitarbeitern erforderlich war und haben Daten gesammelt, die anzeigten, wie lange genau der Prozess dauerte.

Iwata:

Wirklich? Ernsthaft?

Takahashi:

Ja. Ich wollte für das nächste Mal optimal gerüstet sein, wenn ich mich der Welt stellen muss. In Zukunft können wir auf diesem Fundament aufbauen, obwohl man natürlich auch weiterhin neue Ideen braucht. Ich wollte einfach einen genaueren Überblick darüber gewinnen, wie ein Produkt unter Zuhilfenahme der uns zur Verfügung stehenden Fertigkeiten und Talente erstellt werden kann. Wobei ich allerdings noch bei keiner wirklichen Schlussfolgerung angelangt bin.

Iwata Asks
Iwata:

Verstehe. Aber was meinen Sie damit, dass Sie sich „der Welt stellen“ müssen? Meinen Sie damit, dass in Japan erstellte Spiele sich auch weltweit beweisen müssen?

Takahashi:

Na ja, Spiele wie Mario und Zelda sind in der ganzen Welt begeistert aufgenommen worden. Aber RPGs haben es da nicht so leicht.

Sakaguchi:

Stimmt, in gewisser Hinsicht ist es schwieriger geworden.

Iwata:

Glauben Sie, dass dies unter anderem daran liegt, dass die Ersteller ein und denselben Ansatz überstrapaziert haben?

Sakaguchi:

Ja, ich glaube schon. Ich weiß nicht, wie ich das jetzt am besten ausdrücken soll, aber Amerika und Europa lagen in der Spielentwicklung einmal etwas hinter Japan zurück. Aber dank eines Innovationsschubs haben die dortigen Entwickler schnell aufgeholt und uns sogar überholt.

Iwata:

Spiele werden jetzt also anders gespielt, und die alten Methoden sind überholt.

Sakaguchi:

Genau. Ich habe den Eindruck, dass japanische RPGs ins Hintertreffen geraten sind. Und genau deshalb sind RPGs gezwungen, sich zu ändern.

Iwata:

Dann ist jetzt die Frage, welche Elemente geändert werden müssen und welche so bleiben können, wie sie sind.

Sakaguchi:

Ich glaube aber trotzdem fest daran, dass Japan beim Detailreichtum und der Genauigkeit der Spiele sowie beim Darstellen emotionaler Tiefe noch die Nase vorn hat. Wenn wir das beibehalten, werden japanische RPGs sich auch weiterhin auf der internationalen Bühne behaupten können.

Takahashi:

Das ist etwas, was uns allen Sorgen macht. Und wir haben ja schon von dem Konzept des Einfühlungsvermögens und der Resonanz gesprochen. Beim Betrachten ausländischer Filme verspüren wir eben dieses Einfühlungsvermögen. Es mag Elemente anderer Kulturen geben, die uns fremd sind, aber wenn diese emotionale Resonanz vorhanden ist, können solche Unterschiede überbrückt werden. Daher bin ich bezüglich bestimmter Dinge relativ optimistisch.

Iwata:

Es gibt keinen Zweifel, dass bestimmte Dinge bei Leuten eine Saite zum Klingen bringen, sprich eine Resonanz auslösen, ganz egal wo sie herkommen. Aber ich glaube nicht, dass es da draußen viele Leute gibt, die darauf immer wieder wirkungsvoll aufbauen können.

Sakaguchi:

Ich habe das Gefühl, dass die Lösung gar nicht so weit entfernt liegt. Wenn wir im Bereich der RPGs auf diese Lösung hinarbeiten, dann sind wir vermutlich bald ...

Sakaguchi/Takahashi:

... aus dem Schneider.

Iwata:

Das ist eines der Probleme, die diejenigen von uns in Japan, die Spiele entwickeln, überwinden müssen. Zwar sind Spiele eine Form der Unterhaltung, aber bei zu vielen Gelegenheiten starten wir die Spielerstellung unter der Prämisse, dass wir Dinge nicht verändern werden.

Sakaguchi:

Das typische Beispiel für das, was sich nie ändert, ist die organisatorische Struktur. Strukturen ändern sich eigentlich nie, es sei denn, irgendetwas geht wirklich ernsthaft schief.

Iwata:

Wenn eine Organisation glatt läuft, gerät sie oft in eingefahrene Gleise. Dann muss die gesamte bestehende Struktur entsorgt und die Art und Weise der Spielerstellung umgestellt und neu modelliert werden.

Sakaguchi:

Es wäre sicher nicht leicht, sie zu komplett zu entsorgen, aber ich glaube, die organisatorische Struktur müsste geändert werden. Anstatt alles auf einmal über Bord zu werfen, muss die Struktur stetig überholt werden, wobei Teile verworfen und neu modelliert werden.

Iwata:

Ich würde das mit einem Flugzeug vergleichen, das sich mitten in der Luft befindet.

Sakaguchi:

Ah, das ist ein guter Vergleich. Ein Flugzeug Stück für Stück zu ersetzen, während es fliegt, ist ein extrem heikles Unternehmen. Aber genau so etwas Mutiges und Präzises wird vermutlich benötigt.

Iwata:

Wenn ich mich mit Ihnen unterhalte, bekomme ich wirklich den Eindruck, dass japanische Spiele immer noch viel erreichen können. Ich freue mich schon darauf, zu sehen, wie Sie sich bald der Welt stellen werden. Vielen Dank, dass Sie heute bei mir waren.

Iwata Asks
Takahashi & Sakaguchi:

Wir danken Ihnen.