Redaktioneller Hinweis:
Dieses Interview wurde ursprünglich am 17. August 2010 veröffentlicht.
Heute möchte ich mit Mr. Sakaguchi und Mr. Matsumoto von AQ interactive1, die beide von Anfang an am Projekt beteiligt waren, über das System von The Last Story sprechen. 1 AQ Interactive war eine japanische Entwicklungsfirma für Videospiele. 2011 wurde sie mit Marvelous Entertainment zu Marvelous AQL Inc. zusammengefasst.
Es ist mir eine Freude, heute hier bei Ihnen sein zu dürfen. Ich war für die Systementwickung von The Last Story verantwortlich. Ich habe bei der Entwicklung von Blue Dragon2 Seite an Seite mit Mr. Sakaguchi gearbeitet und auch in den folgenden siebeneinhalb Jahren weiter mit ihm kooperiert. 2 Blue Dragon ist ein RPG, das in Japan im Dezember 2006 veröffentlicht wurde. Es wurde von Mistwalker und Artoon entwickelt, aus denen später AQ Interactive hervorging.
Zu Beginn unseres Interviews möchte ich Sie beide fragen, was ursprünglich den Anstoß zu dem Projekt von The Last Story gegeben hat?
Nun, das Projekt begann damit, dass ich ein Planungsdokument für das Spiel entwarf. Ungefähr zu dieser Zeit traf ich mich mit Mr. Matsumoto auf einen Drink in Daikanyama in Tokio. Bei diesem Treffen unterhielten wir uns über den allgemeinen Stand von Videospielen. So hat doch dann alles seinen Lauf genommen, oder?
Ja, das stimmt. Bei diesem Treffen stellten wir fest, dass unsere Auffassungen von den Problemen und Fragen, die mit Videospielen verbunden sind, sich ziemlich ähnlich waren.
Unser Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf die Lehren, die wir aus Blue Dragon, einem Spiel, das wir gemeinsam erstellt hatten, zu ziehen hatten. Zunächst einmal sahen wir uns mit der Tatsache konfrontiert, dass das Spiel von den Spielern in den USA und Europa nicht gut aufgenommen worden war. Anschließend sprachen wir über die Unterschiede zwischen dem japanischen Publikum und den westlichen Konsumenten. Nach den Reaktionen der Kunden auf unsere Spiele zu urteilen, hatten wir einen relativ einfachen Weg gewählt und zu viele Spiele im selben Stil hergestellt.
Sie tauschten sich also zu Problemen bei Ihrer Vorgehensweise aus, und schließlich entwickelte sich daraus der Ausgangspunkt für Ihre Zusammenarbeit bei The Last Story
Ja, das kann man so sagen. Wir sprachen über die aktuellen innovativen Spiele und fanden dabei heraus, dass wir uns beide die gleichen Clips auf einer Video-Tauschseite angesehen hatten.
Ja, das stimmt.
Wir hatten uns beide Filmmaterial zu einem bestimmten Spiel angesehen und waren beide ziemlich geschockt. Es schien sich um ein Spiel mit einem ganz neuen Ansatz zu handeln, auf das wir beide auf die gleiche Weise reagierten: „Warum bin ich nicht bloß selbst auf die Idee gekommen?“
Wir konnten uns dabei richtig in den Hintern beißen...
Genau. Unsere Aufgabe ist es doch schließlich, das Publikum zu überraschen. Wenn man dann auf ein Spiel stößt, das einen wirklich verblüfft, dann kann das ein kreativer Kopf nicht einfach so hinnehmen.
Genau, das macht einem dann auf ganz eigentümliche Weise zu schaffen.
Zum Ende unseres Gesprächs beschlossen wir daher, einen neuen Ansatz zu entwickeln und dies auch recht bald zu tun. Das brachte uns dazu, den Prototyp ‘Tofu-kun’3 zu entwickeln.
3 „Tofu-kun“ war ein Prototyp der für die Systementwicklung von The Last Story erschaffen wurde. Mit „Tofu” werden die Köpfe der Charaktere bezeichnet, die an Tofublöcke erinnern.
Bevor wir uns an die Erstellung der Spiel-Grafiken machten, sahen wir uns zunächst an, wie die Spielelemente funktionierten und zusammenpassten. Vom Anfang bis zum Ende gerechnet, haben wir ungefähr ein Jahr lang an „Tofu-kun“ gearbeitet.
Mr. Matsumoto, was war Ihr erster Eindruck von dem neuen Ansatz, den Mr. Sakaguchi bei diesem Spiel verfolgen wollte?
Nun, mir war klar, dass wir ein neues Kampfsystem erstellen mussten. Mir war bewusst, dass wir das Wesen des Spiels verändern mussten, wenn wir uns nicht endlos wiederholen wollten. Und so entstand unser Prototyp mit einem Helden und seinen drei Kumpels mit blauen Tofu-Blöcken als Köpfen neben den roten Tofu-Gegnern.
Wir haben dem gegnerischen Anführer sogar eine rote Brille aufgesetzt.
Sie haben einem Tofu-Block eine Brille aufgesetzt?
Ja, wirklich! (lacht) Diese roten und blauen Tofu-Blöcke dienten uns als Grundlage zum Ausprobieren. Wir haben den Prototyp so erstellt, dass man seine Aufmerksamkeit auf den Anführer richten kann, so dass der Spieler nur auf ihn abfeuern konnte. Anschließend konnte der Spieler seinen Verbündeten befehlen, sich auf den Teamführer zu konzentrieren. Und damit bildete sich dann das Herzstück des endgültigen Kampfsystems.
Die andere Sache, über die wir an besagtem Abend sprachen, war, die Kollisionserkennung richtig hinzubekommen. Damit meinen wir die Dinge, die der Spieler anfassen und fühlen kann und mit denen er interagiert. Uns war es dabei sehr wichtig, den Spielern zu vermitteln, dass sich die von ihnen gesteuerten Charaktere ganz sanft über die Oberfläche bewegen. Dazu gehörte zum Beispiel, dass sich Spielercharaktere im Schatten verstecken und dass sie sich durch enge Lücken und Passagen quetschen. Wir wollten die Spieler mit allen möglichen Arten von schwierigem Gelände in Berührung bringen.
Wir wollten das Spiel so gestalten, dass man auch mit solchen Objekten interagieren kann, die eigentlich nur zur Hintergrunddekoration dienen. Daher haben wir Level entwickelt, bei denen man im Gelände witzige Dinge tun kann, wie Wände hochklettern und sich in Zwischenräumen verstecken. Das Leveldesign4 ist untrennbar mit der Erstellung der Spiellandschaft verbunden. Darauf haben wir von Anfang an viel Zeit verwandt. Meine Aufgabe bestand darin, die Story, die Mr. Sakaguchi erschaffen hatte, in die Spielumgebung zu integrieren. 4 „Leveldesign“ bezieht sich auf die Erstellung der Umgebung und des Geländes jedes Levels, zusammen mit der Anpassung des Schwierigkeitsniveaus.
Können Sie bitte näher erläutern, was Sie damit meinen, die Story in die Spiellandschaft zu integrieren?
Mr. Sakamoto entschied, was die Charaktere in den Verliesen machen und welche beiläufigen Gespräche sie dort führen. Die Story des Spiels ist in drei Stufen untergliedert. Die erste Stufe bildet dabei die alles umfassende Erzählung, die ich mir ausgedacht habe. Und dann sind da die Interaktionen der einzelnen Charaktere in den Spielverliesen. Und schließlich gab es noch die Texte, die vom Regisseur hinzugefügt wurden ...
So könnte beispielsweise einer der Charaktere einen Purzelbaum schlagen und ein anderer über ihn lachen. Von dieser Art von Austausch haben wir jede Menge eingebaut.
Also dachten Sie darüber nach, wie Sie sich die jeweilige Stufe der Story zunutze machen und diese entsprechend in das Gelände integrieren konnten.
Ja. Nehmen wir zum Beispiel ein Verlies, in dem Ihr Kumpel Yurick den Mittelpunkt der Handlung bildet. Hier haben wir eine Situation innerhalb der Verlies-Karte erstellt, wo er ganz allein auftritt. Hierdurch wollten wir hervorheben, dass er sich seinen Kumpels noch nicht voll und ganz anvertraut und diese noch nicht vollständig akzeptiert hat.
Bis zu welchem Grad stammen diese Ideen von Ihnen, Mr. Sakaguchi, und bis zu welchem Grad hat hier Mr. Matsumoto noch etwas hinzugefügt?
Ich bin auf die Idee mit der grob gefassten Handlung gekommen. Da gab es manchmal Momente, wo ich mir die Landschaft des Spiels ansah und dazu dann die passenden Ereignisse vorschlug.
Also nehme ich an, dass Sie vorher noch nie an einem Projekt gearbeitet haben, bei dem die Spielereignisse so eng mit dem Leveldesign verflochten waren.
Ja, das ist richtig. Das war für mich das erste Mal.
Ich glaube, die meisten Leute stellen sich das so vor, dass Sie sich eine Story zusammen mit einem Bild der Welt ausdenken, die Sie erschaffen wollen, und dass andere dann eine Grafik und ein Gameplay beisteuern, die dieses Bild widerspiegeln. Aber The Last Story wurde auf eine völlig andere Weise entwickelt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie die Leute mit diesem Interview völlig aus der Fassung bringen.
Nun, vielleicht wurde das Team manchmal ganz und gar von seiner Arbeit mitgerissen ... (lacht)
Genau. Mr. Sakaguchi ist bei uns tatsächlich sechs oder sieben Mal aus der Fassung geraten. (lacht) Dann sagte er solche Dinge wie: „So etwas würde Yurick nicht machen!“
Ich bin aber davon überzeugt, dass es im Spiel gerade deshalb wichtige Elemente gibt, weil das Team eben manchmal so vollkommen mitgerissen wurde.
Ja, das stimmt. Manche Ideen baute das Team ein, um Aufmerksamkeit oder Aufsehen zu erregen. Und diese schafften es dann sogar bis in das endgültige Spiel.
Das stimmt. Nehmen wir zum Beispiel den Helden Zael. Dieser tritt immer die Türen auf, worauf ihm sein Kumpel antwortet: „Jetzt trittst du schon wieder die Türen auf!“ Zuerst war das nur ein Witz, aber dann fingen die Leute an, es als großartiges Feature zu bezeichnen. Darum haben wir es letztendlich als eines der wesentlichen Charakteristika im Spiel belassen. Viele der Elemente im Spiel gehen auf Mr. Matsumoto zurück.
Und dann gibt es da noch Zaels schwachen Geruchssinn.
Ja, das stimmt. Zaels Geruchssinn ist nicht besonders gut. Da gibt es zum Beispiel Szenen, in denen er sich in der Nähe eines wirklich übelriechenden Monsters befindet und sich über die Reaktion der anderen wundert. Anschließend macht sein Kumpel Witze darüber, was für ein Glückspilz Zael doch ist ... (lacht)
Es ist wirklich komisch, dass sich eine solche Konversation in einem Verlies abspielt.
Genau. Diese Gespräche erzeugen eine ganz eigentümliche Atmosphäre. Und ich finde es toll, dass sich diese wie ein roter Faden durch das gesamte Spiel ziehen.
Dann muss es wohl einen Prozess gegeben haben, bei dem das Team Ideen einbrachte und Meinungen darüber austauschte, was passieren sollte und was nicht. Und all das hat sich am Ende zu dieser Atmosphäre der Spielwelt verbunden.
Das stimmt. Da spürt man so eine Art von Lebendigkeit, egal ob man in den Verliesen oder in der Stadt ist. Und meiner Meinung nach hat sich diese Lebendigkeit gerade aus der Tatsache heraus entwickelt, dass sie nicht von Anfang an geplant war ... Hmm, wie soll ich das erklären ...?
Nun, das äußert sich in der besonderen Atmosphäre, die sich durch das gesamte Spiel zieht. Die reale Welt setzt sich doch auch aus so vielen verschiedenen Elementen zusammen. Da kann man doch nicht darauf hoffen, auch nur einen Hauch dieser Realität zu verspüren, wenn diese nur auf die Ideen einer einzigen Person zurückzuführen wäre.
Das stimmt. Ich denke, diese einzigartige Atmosphäre ist dank Mr. Matsumoto und seiner Zusammenarbeit mit dem gesamten Team entstanden.
Und weil Sie so offen für diese Ideen waren, konnten wir so viele davon im Spiel umsetzen.
Nun, manche Details, wie die dass der Held die Türen auftritt, lassen sich einfach nicht von Anfang an planen. Meiner Meinung nach sind alle diese interessanten Aspekte der Charakter-Persönlichkeiten aus den Unterhaltungen um das Leveldesign herum entstanden. Solche Dinge lassen sich einfach nicht vorhersagen, bevor die Entwicklung nicht in Gang gekommen ist.
Da die Action in den Verliesen in Echtzeit abläuft, wird die Geschwindigkeit, mit der die Charaktere laufen, und die Art und Weise, wie sie ihre Scherze machen, schon enorm wichtig.
Selbstverständlich geht die Atmosphäre eines Verlieses nicht allein von seiner Größe, sondern auch von der Bewegungsgeschwindigkeit der Charaktere und den Orten, an denen sich die Ereignisse abspielen, aus.
Dieses Spiel hat mir wieder einmal verdeutlicht, dass diese reale und lebendige Atmosphäre im Verlies durch die Ereignisse und die Interaktionen der einzelnen Charaktere erzeugt wird, die sich dort abspielen.
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