Herr Miyamoto, als Sie mit der Arbeit an "Wii Fit" begonnen haben, haben Sie da geahnt, dass so viele Leute auf der ganzen Welt so begeistert davon sein würden?
Wohl kaum, so was kann man nicht vorhersehen. Aber ich kann auf jeden Fall sagen, dass noch niemand damit gerechnet hat, wie erfolgreich es sein würde, als es mit der Popularität schon langsam losging. Am Anfang waren Sie derjenige, der am meisten hinter dem Projekt stand! (lacht)
Das stimmt, ich erinnere mich an unser Gespräch darüber, wie viele der speziellen 'Wii Balance Board'-Komponenten, die lange Lieferzeiten hatten, wir einkaufen sollten. Ich schlug eine Zahl vor, bei der die Leute nur nervös gefragt haben: "Sind Sie ganz sicher, dass wir so viele kaufen sollten?" (lacht)
Ich erinnere mich, dass ich gesagt habe: "Also, wenn es nur um die Komponenten geht, in irgendeinem Produkt werden wir die schon einsetzen können!" (lacht)
Wie kam es zur Entwicklung von "Wii Fit Plus"?
Wir haben die Entwicklung von "Wii Fit Plus" mit einer typischen Spieleentwickler-Mentalität angefangen: der erste Teil hat sich gut verkauft, also lasst uns einen Nachfolger machen. Dann haben Sie die Idee vorgeschlagen, vielschichtige Übungen umzusetzen, die auch den Verstand trainieren...
Ah, ja, Sie meinen den Stroop-Effekt1. 1 Der Stroop-Effekt bezeichnet ein Phänomen, das der Psychologe John Stroop 1935 beobachtet hat. Dabei geht es darum, dass zwei verschiedene Informationsarten die Verarbeitung im Gehirn gegenseitig erschweren können, wenn sie gleichzeitig dargeboten werden, z.B. wenn man den Namen einer Farbe in einer anderen Farbe darstellt.
Der Gedanke war, dass wir den Körper und den Geist der Benutzer trainieren könnten, wenn wir "Wii Fit" etwas mehr überarbeiten.
Der Stroop-Effekt wurde schon in "Gehirn Jogging2" eingesetzt. Da gab es einen Test, bei dem die Namen von Farben nicht der Farbe entsprachen, in der sie geschrieben waren. Die Spieler sollten das Wort ignorieren und nur auf die tatsächliche Farbe achten. Den Effekt, der dann auftritt, wenn man zwei verschiedene Verarbeitungsebenen kombinieren muss, um auf ein Ergebnis zu kommen, nennt man den Stroop-Effekt. 2 "Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging - Wie fit ist Ihr Gehirn?" ist ein Software-Titel, der im Mai 2005 in Japan und im Juni 2006 in Europa für Nintendo DS veröffentlicht wurde.
Wenn man so etwas auf den Körper übertragen will, ist das beste Beispiel wohl Schlagzeug Spielen, wo man die Arme und Beine unabhängig voneinander bewegen muss.
Aber das haben Sie doch schon in "Wii Music"3 umgesetzt, oder? (lacht) 3 "Wii Music" war eine Musik-Software, die im Oktober 2008 in Japan für Wii veröffentlicht wurde. Einen Monat später erschien das Spiel auch in Europa.
Ja, haben wir! (lacht) Dann habe ich mir gedacht, wenn wir die visuelle Verarbeitung von Informationen mit der Haltung des Controllers und der Körperbalance kombinieren, könnten wir viele lustige Spiele damit machen. Also haben wir angefangen, gleichzeitig an verschiedenen Spielen zu arbeiten.
Ich verstehe.
Während wir Fortschritte bei der Entwicklung dieser Spiele gemacht haben, wurde ich darauf aufmerksam, dass manche Leute aufgehört hatten, "Wii Fit" zu benutzen. Sie wussten, dass sie eigentlich weitermachen sollten, aber es gab anscheinend einen Grund, warum sie aufgehört haben...
Und welcher Grund war das?
Wie Sie sich vielleicht schon denken, war es die Bequemlichkeit. Bei "Wii Fit" mussten die Benutzer auf ein wenig Bequemlichkeit verzichten. Deshalb dachte ich, wenn wir die Bedienung einfacher machen könnten, würden es die Leute weiter benutzen. Ich kann mir vorstellen, dass jetzt manche sagen: "Tja, dann hätten Sie es gleich so machen sollen!" (lacht)
Also, wie Sie selber sagen, hätten Sie es vielleicht gleich anders machen sollen. Das kann man auf zwei Arten erklären. Erstens, wenn Sie während der Arbeit am Spiel gedacht haben: "Im Idealfall sollte ich es eigentlich so machen, aber..."
Das kam sehr häufig vor.
Oder wenn Sie erst nach der Veröffentlichung des Spiels auf Elemente aufmerksam geworden sind, bei denen Sie sich gedacht haben: "Das hätten wir lieber anders machen sollen!"
Ich würde sagen, von diesen beiden Beispielen kam der erste Fall weit häufiger vor, wo ich während der Entwicklung dachte: "Ich würde es gern so machen, aber..."
Also gab es für Sie als Spielentwickler bestimmte Dinge, die Sie eigentlich umsetzen wollten, aber nicht konnten.
Genau. Wenn man in ein Fitness-Studio geht, trainiert man bestimmt 30 oder 40 Minuten. Während dieser Zeit wird man von einem Trainer begleitet, der immer wieder Ratschläge gibt, so dass man sich überwindet und durchhält. In den ersten zehn Minuten kriegt man dann vielleicht noch mit, wie die Zeit vergeht, aber auf einmal hat man dann 40 Minuten lang trainiert.
Das stimmt. Wenn man trainiert, verliert man die Zeit richtig aus den Augen...
Ich dachte, dass wir dieses Element auch bei "Wii Fit" umsetzen sollten und wollte es irgendwie integrieren, aber wusste einfach nicht, wie wir das machen sollten. Und weil wir es das erste Mal nicht erfolgreich integrieren konnten, wollten wir diesmal, dass man sich bei "Wii Fit Plus" einen ganz persönlichen Trainingsplan zusammenstellen kann. Damit haben wir uns auf jeden Fall viel Mühe gegeben.
Sie sprechen vom persönlichen Menü, 'Mein Wii Fit Plus'.
Das haben wir ungefähr viermal überarbeitet.
Wirklich? Viermal?
Als Spiel-Designer haben wir die meiste Zeit damit verbracht, die Benutzeroberfläche so zugänglich wie möglich zu machen. Wir wollten ein Menü für den persönlichen Trainingsplan entwerfen, das sehr einfach zu benutzen ist. Es sollte so sein, dass sogar die Benutzer, die so etwas nicht gerne machen, mit ein paar Mal Knopfdrücken ihre eigene Auswahl treffen können.
Und das haben Sie dann viermal überarbeitet?
Wenn Sie die Änderungen an den Vorgaben mitrechnen, war es sogar noch häufiger. Jedes Mal, wenn das Team eine neue Version vorgeschlagen hat, sollten Sie eine Präsentation für mich machen, bei der ich dann immer sagen konnte: "Nein, das passt nicht. So geht das nicht." Ich kann mir vorstellen, dass der Director ziemlich nervös war, weil ich sogar noch eine Überarbeitung gefordert habe, als die Software schon mehr oder weniger in der endgültigen Version vorlag.
Und das war dann das vierte Mal? (lacht)
Genau. Aber ich glaube, ich kann sagen, dass wir eine vorbildliche, zugängliche Benutzeroberfläche entwickelt haben. Außerdem hatten wir gegen Ende der Entwicklungsphase das Glück, dass uns Dr. Miyachi4 unterstützt hat, obwohl wir die Features in dieser Phase natürlich schon mehr oder weniger endgültig festgelegt hatten und die Entwicklung stetig voran ging. 4 Dr. Miyachi, der Projektleiter für Trainingsrichtlinien am Staatlichen Institut für Gesundheit und Ernährung in Japan, fungierte während der Entwicklung von Wii Fit Plus als Berater. Dr. Miyachis übergeordnetes Ziel ist es, “Richtlinien für die körperliche Ertüchtigung zu erstellen, die die Gesundheit unseres Volkes verbessern”. Er führt eigene Studien durch, nutzt aber auch Forschungsergebnisse aus der ganzen Welt, um Trainingsrichtlinien für das japanische Volk aufzustellen.Das Staatliche Institut für Gesundheit und Ernährung wurde 1920 vom japanischen Innenminister gegründet. Es handelt sich dabei um eine staatliche Einrichtung, deren Auftrag es ist, durch Forschung und Umfragen die Standards der öffentlichen Gesundheit und Ernährung zu verbessern.
Also, wenn die Trainingsübungen nicht schon größtenteils festgelegt gewesen wären, wären die Berechnungen in der Stoffwechsel-Kammer5 auch nicht möglich gewesen. 5 Die Stoffwechsel-Kammer ist eine bahnbrechende Vorrichtung, die Langzeitmessungen bezüglich des Energieverbrauchs von Menschen in einer alltäglichen Umgebung ermöglicht. Man bezeichnet sie auch als „Menschlicher Kalorienmesser“. Die MET-Werte wurden mithilfe der Stoffwechsel-Kammer unter der Aufsicht von Dr. Miyachi ermittelt.
Ja, und deshalb war das Timing auch genau richtig. Bei der Entwicklung des ersten "Wii Fit"-Titels haben wir wirklich viel Zeit in die Recherche bezüglich der METs6 investiert. 6 METs (Metabolic Equivalents) sind eine Einheit, mit der man der körperlichen Anstrengung, die man bei einer Trainingsübung empfindet, einen Wert zuweisen kann.
Richtig.
Das ist ein eingängiger Begriff, den sich auch Japaner leicht merken können, und deshalb war meine Meinung: "Lasst uns die METs benutzen!" Aber es gab nicht genügend wissenschaftliche Belege, um den Begriff in unserer Software zu verwenden. Wenn Nintendo, als Hersteller in der Unterhaltungsindustrie, physiologische Werte ohne Garantie bezüglich ihrer Aussagekraft verwendet hätte, wäre das wohl nicht so gut gewesen...
Wir können solche Zahlen nicht benutzen, wenn die Werte nicht auf soliden Forschungsergebnissen basieren.
Genau. Deshalb haben wir im ersten "Wii Fit"-Titel das 'Fit-Guthaben' verwendet, bei dem man selber grob eingeschätzt hat, wie sehr man sich angestrengt hat. Wir haben es so gelassen, dass es nur ein Schätzwert zur groben Orientierung ist, den man in den eigenen Statistiken abspeichern kann. Aber als uns klar wurde, dass wir die wissenschaftliche Grundlage integrieren konnten, um MET-Werte zu berechnen, konnten wir dieses Feature in der zweiten Hälfte des Entwicklungsprozesses noch verbessern.
Dank der Unterstützung von Dr. Miyachi konnten Sie auch die 'Wii Fit Plus-Programme' umsetzen, die die Benutzer dabei beraten, welches Training sie machen können, um Nachwirkungen wie steife Schultern oder Rückenschmerzen zu vermeiden.
Das ist etwas, was ich eigentlich schon im ersten "Wii Fit"-Titel umsetzen wollte, aber auch dafür hat uns die wissenschaftliche Grundlage gefehlt. Deshalb haben wir mit Herrn Matsui7 und seinem Team von Trainern, die uns beraten haben, solche Dinge wie Trainingsprogramme für Kraft in den Armen besprochen, und mussten zumindest eine Grundlage für diese Idee entwickeln. Daher war es sehr gut, dass wir im entscheidenden Moment Dr. Miyachi getroffen haben. 7 Der professionelle Sport-Trainer Kaoru Matsui ist der Leiter der japanischen Abteilung der 'National Exercise & Sports Trainers Association (NESTA)', die die Qualifikationen von persönlichen Trainern überwacht. Er hat als Trainingsberater an "Wii Fit" und "Wii Fit Plus" gearbeitet.
Der Inhalt von Dr. Miyachis Forschungen hat wirklich sehr gut zu dem gepasst, was wir machen wollten, und ich denke, das hat die Software ungemein bereichert.
Deshalb heißt es ja auch "Plus"!
(lacht)
Nachdem wir so ein solides Grundgerüst entwickelt hatten, war ich persönlich der Meinung, dass wir schnell veröffentlichen sollten, als Hinweis für die "Wii Fit"-Benutzer: "Hier erhalten Sie eine verbesserte Version von 'Wii Fit'!"
Deshalb heißt es nicht "Wii Fit 2".
Genau! Es ist nicht der zweite Teil! Das ist nicht wie bei einer Fortsetzung eines normalen Spiels - eigentlich ist es die verbesserte Version der Software.
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