3. Abgebrochene Brücken

Iwata:

Zu Beginn unseres Gesprächs erwähnten Sie, Sie wollten ein JRPG-Meisterstück erschaffen. Welche Ideen hatten Sie bei der Umsetzung?

Takahashi:

Ich möchte nur kurz die Struktur von JRPGs beschreiben. Zunächst haben Sie dort die Story auf der Y-Achse und das Spielsystem und das Gameplay auf der X-Achse. Dabei ist es äußerst wichtig, dass sich diese beiden Bereiche im Gleichgewicht befinden.

Iwata:

Es kann also vorkommen, dass entweder die Story-Seite oder die Spieleseite zu sehr betont werden?

Takahashi:

Genau. Bevor wir Monolith Soft aufbauten, arbeiteten wir bei Square2020. Square: Derzeit Square Enix Holdings Co., Ltd. Square wurde 1986 gegründet und fusionierte 2003 mit Enix.

Iwata:

Also hieß die Firma Square, bevor sie zu Square Enix wurde.

Takahashi:

Richtig. Ich habe genau nach dem Abschluss der Entwicklung zu Final Fantasy III21 bei Square angefangen und war an IV, V und VI22 beteiligt. Final Fantasy gehörte immer zu den Titeln, die zwar über die X-Achse des Gameplay verfügten, der Y-Achse der Story jedoch immer sehr abverlangten. Die Fehlersuche machte sehr viel Spaß. Am Schlusstag der Entwicklung spielte immer noch jemand das gesamte Spiel durch! 21. Final Fantasy III: Das dritte Spiel der Serie, das in Japan erst 1990 für den NES veröffentlicht wurde. 22. IV, V und VI: Final Fantasy IV (1991 für Super NES in Japan und Amerika veröffentlicht, für die Wii Virtual Console in Europe erhältlich); Final Fantasy V (erst 1992 für Super NES in Japan veröffentlicht); und Final Fantasy VI (1994 in Japan und Amerika für Super NES veröffentlicht, für die Wii Virtual Console in Europe erhältlich).

Iwata:

Das hatte beim Final Fantasy-Team schon Tradition.

Takahashi:

Das stimmt. Mr. (Hironobu) Sakaguchi23 und der Rest von uns sahen beim Durchspielen zu und wenn das Spiel erfolgreich beendet wurde, jubelten wir alle. Das hat viel Spaß gemacht. 23. Hironobu Sakaguchi: Schöpfer der Final Fantasy-Serie. In 2001 gründete er seine eigene Spiele-Entwicklungsfirma, Mistwalker Corporation.

Iwata:

Genau.

Takahashi:

Doch danach – und hier habe auch ich versagt – hatte ich mehr und mehr das Gefühl, dass die Y-Achse der Story die X-Achse des Gameplay überholt.

Iwata:

Ah, Sie hatten das Gefühl, dass das JRPG aus dem Gleichgewicht gekommen war.

Takahashi:

Genau. Das Erste, was ich daher bei Xenoblade Chronicles unternahm, war nach meiner Erfahrung ein gutes Gleichgewicht für die X- und die Y-Achse festzulegen und die Struktur des Spiels dementsprechend aufzubauen.

Iwata Asks
Iwata:

Dazu vergewisserten Sie sich wahrscheinlich zuvor, dass das Gameplay auf der X-Achse genauso stark wie die Story auf der Y-Achse war, die dem Spiel eine solche Tiefe verlieh.

Takahashi:

Ich denke, das habe ich.

Iwata:

Sie müssen viele Versuche unternommen haben, selbst nachdem Sie Ihre Richtung festgelegt hatten.

Takahashi:

Dabei ging es weniger um Versuche als um das Abbrechen von Brücken.

Iwata:

Das Abbrechen von Brücken? Was meinen Sie damit?

Takahashi:

Wir starteten mit Monolith Soft im Jahre 1999, mit Geldern von Namco24, bevor hieraus BANDAI Namco wurde. Das erste von uns erstellte Spiel war Xenosaga25. Weil die Erstellung jedoch mit dem Aufbau der Firmenorganisation zusammenfiel, verfügten wir nicht über genügend Leute. Die Programmierer und Planer waren alle blutige Anfänger. Zu dieser Zeit hatte der Direktor von Xenoblade Chronicles und Xenoblade Chronicles X26, Mr. (Koh) Kojima27, nach seinem Universitätsabschluss gerade bei der Firma angefangen. 24. Namco: BANDAI NAMCO Games Inc. Namco, das 1955 gegründet wurde, legte 2006 seine Spieleabteilung mit Bandai zusammen.25. Xenosaga: Xenosaga Episode I: Der Wille zur Macht, ein RPG, das 2002 von Namco veröffentlicht wurde.26. Xenoblade Chronicles X: Das neueste RPG für die Wii U von Tetsuya Takahashi. Seine Veröffentlichung in Europa ist für 2015 geplant.27. Mr. Koh Kojima: Ein Mitglied der Entwicklungsabteilung bei Monolith Soft und Direktor von Xenoblade Chronicles. Er erscheint in dem Interview Iwata fragt: Xenoblade Chronicles, Ausgabe 3: Der Entwicklungsprozess.

Iwata:

Dann war selbst Mr. Kojima ein Anfänger.

Takahashi:

Das stimmt. Es ist zwar ein bisschen peinlich, dies zuzugeben, aber die Grafikmaschine wurde erst sechs Monate vor dem Abgabetermin für die Entwicklung fertig gestellt. Mit solch engen Zeitplänen arbeiteten wir damals.

Iwata:

Nun, es klingt nach einem sehr engen Zeitplan.

Takahashi:

Das mag sich jetzt wie eine Entschuldigung anhören, aber zu dieser Zeit hatte ich das Gefühl, dass es vielleicht noch ein wenig zu schwierig sei, bereits zu diesem Zeitpunkt unser Idealspiel zu erstellen, weil niemand innerhalb des Xenosaga-Teams wirklich Erfahrung mitbrachte.

Iwata:

Genau.

Takahashi:

Aber selbst innerhalb dieses Teams gab es einige äußerst talentierte Grafikdesigner. Das Spieldesign entstand aus folgender Idee heraus: „Das Einzige, was wir machen können, ist aus der Hauptkomponente eine Art Ereignis zu machen.“

Iwata:

Also kreierten Sie ein Spiel, das den Stärken und Schwächen Ihres Teams entgegenkam.

Takahashi:

Richtig. Wir haben innerhalb der Xenosaga-Serie28 drei Spiele veröffentlicht, die jedoch keinen großen Anklang fanden. Das war schon sehr demütigend. Das war auch der Eindruck der jüngeren Mitglieder im Team, nicht nur der Teamleiter. Also fassten wir alle gemeinsam den Entschluss, das nächste Mal ein Spiel zu erstellen, an dem die Spieler ihre Freude haben sollten.“ Und dies veränderte die Atmosphäre bei der Entwicklung von Xenoblade Chronicles im Vergleich zu anderen Spielen grundlegend. 28. Drei Spiele der Xenosaga-Serie: Eine RPG-Serie, die von 2002 bis 2006 lief.

Iwata:

Sie konnten sich nicht länger entschuldigen.

Iwata Asks
Takahashi:

Das stimmt. Wir konnten nicht mehr so weiter machen. Das habe ich damit gemeint, dass wir für die Entwicklung von Xenoblade Chronicles unsere Brücken abgebrochen haben.

Iwata:

Manchmal kann die Erfahrung eines Missgeschicks ein Schritt zum Erfolg sein. Dieses Spiel hat ein vollkommen anderes Genre. Doch etwas Ähnliches ist bei Animal Crossing29 passiert.29. Animal Crossing: Eine Serie von Kommunikationsspielen. Das erste Spiel der Serie wurde im September 2004 in Europa für den Nintendo GameCube veröffentlicht. Es folgten Titel für Nintendo DS, Wii und Nintendo 3DS.

Takahashi:

Bei Animal Crossing?

Iwata:

Ja. Animal Crossing für Nintendo DS30 erhielt fantastische Kritiken. Doch die Wii-Version31, die nur wenig später herauskam, konnte die Anforderungen der User nicht vollständig erfüllen. Die Mitarbeiter, die mit der Wii-Version betraut waren, waren deswegen sehr beunruhigt, und nahmen dies zum Anlass, sich zur Erstellung einer Nintendo 3DS-Version von Animal Crossing 32 zu motivieren. Einer der Leute im Zentrum dieses Projekts hat Splatoon33 produziert, dessen Veröffentlichung für Mai 2015 vorgesehen ist. 30. Animal Crossing für Nintendo DS: Animal Crossing: Wild World wurde in Europa im März 2006 veröffentlicht. 31. Die Wii-Version: Animal Crossing: Let’s Go to the City erschien in Europa im Dezember 2008. 32. Die Nintendo 3DS-Version von Animal Crossing: Animal Crossing: New Leaf wurde in Europa im Juni 2012 veröffentlicht. 33. Splatoon: Ein Spiel für die Wii U, das im Mai 2015 veröffentlicht wird. Es wurde von Hisashi Nogami, dem Direktor der Serie Animal Crossing bis Animal Crossing: Let’s Go to the City produziert. Weitere Informationen zu Animal Crossing finden Sie unter: Iwata fragt: Animal Crossing: Let’s Go to the City. Weitere Informationen zu Splatoon finden Sie auf der offiziellen Splatoon-Webseite.

Takahashi:

Oh, war das so?

Iwata:

Meiner Meinung nach ist mit dem Abschluss der Spielerstellung noch nicht alles zu Ende. Ich habe das Gefühl, dass die Spiele untereinander verbunden sind. Damit möchte ich sagen, dass Splatoon vielleicht nicht erstellt worden wäre, hätte die Wii-Version von Animal Crossing eine positivere Resonanz erfahren. Vielleicht hätte die Nintendo 3DS-Version von Animal Crossing nicht den Durchbruch geschafft, so wie sie es getan hat. Dann wäre alles ganz anders verlaufen.

Takahashi:

Das stimmt natürlich.

Iwata:

Bei der Erstellung eines Spiels möchten wir jedoch die Erwartungen der User zu 100 % – ja sogar zu 120 % erfüllen. Das ist uns sehr wichtig – in diesem Punkt sind wir niemals von unserer Verpflichtung zu dieser Philosophie abgerückt. Doch selbst bei einem Produkt, von dem wir überzeugt sind, hören wir von den Usern manchmal: „Das ist nicht, was wir uns vorgestellt haben.“

Takahashi:

Das stimmt.

Iwata:

In solchen Fällen lassen wir uns oft von den Usern erklären, was ihnen nicht gefällt oder welcher Teil des Aufbaus ihrer Meinung nach nicht gelungen ist. Bei der Erstellung von Xenoblade Chronicles erwies es sich jedoch sogar als großartige Kraftquelle, dass sich das Entwicklungsteam bei den vorhergehenden drei Xenosaga-Spielen mit so großen Problemen konfrontiert sah.

Takahashi:

Genau. Als wir Xenoblade Chronicles erstellten, waren seit dem Aufbau von Monolith Soft bereits 10 Jahre vergangen und alle Teammitglieder hatten Erfahrung gewonnen.

Iwata:

Und Mr. Kojima, der beim Aufbau der Firma noch ein blutiger Anfänger war, war inzwischen Direktor.

Takahashi:

Ja. Und es bestätigte sich, dass wir mit diesen Teammitgliedern etwas mit einer ausbalancierter X- und Y-Achse erschaffen konnten.

Iwata:

Also haben Sie Xenoblade Chronicles erstellt, als Sie alle als Gruppe ihre Berufung gefunden hatten.

Takahashi:

Ja.