Anm. d. Red.: Dieses „Iwata fragt“-Interview fand nach der Veröffentlichung von „Nintendo präsentiert: New Style Boutique“ in Japan, aber vor dem Erscheinen des Spiels in Europa statt.
Vielen Dank, dass Sie heute alle hergekommen sind. Dieses Interview findet ausnahmsweise nicht in den üblichen Räumlichkeiten statt. Hier kommt viel Licht durch die großen Fenster und der Raum hat eine etwas andere Atmosphäre. Auch „Nintendo präsentiert: New Style Boutique“ wurde auf ganz andere Weise erstellt als das Vorgängerspiel Style Boutique1 für das Nintendo DS-System. Ich wollte Sie schon lange dazu befragen, aber unsere Terminpläne haben sich stets überschnitten, und so findet unsere Runde jetzt eben nach dem Erscheinen des Spiels statt. In der Regel führen wir diese „Iwata fragt“-Gespräche ja vor der Veröffentlichung, aber ich habe Sie heute trotzdem eingeladen, weil „Nintendo präsentiert: New Style Boutique“ meiner Meinung nach auch nach seinem Erscheinen noch ein Interview verdient. Vielen Dank also, dass Sie alle gekommen sind.1 Style Boutique: Ein Modespiel, das im Oktober 2008 in Japan für das Nintendo DS-System erschien.
Vielen Dank für die Einladung.
Gut, dann stellen Sie sich bitte alle einmal vor und erzählen Sie uns, woran Sie jeweils gearbeitet haben.
Mein Name ist Yamagami und ich gehöre zu Nintendo. Ich war der Produzent des Spiels. Meine Hauptaufgaben waren es, die Anliegen der Mitarbeiter zu berücksichtigen, die Terminplanung zu erstellen und die eigentliche Richtung der Entwicklung vorzugeben.
Ich bin Hattori, ebenfalls von Nintendo. Ich habe bei Nintendo als Regisseurin fungiert. Damit hatte ich die Aufgabe, „Nintendo präsentiert: New Style Boutique“ zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Ich heiße Sasaki und arbeite bei Syn Sophia.2 Ich war als Regisseur tätig. Ich habe mir alle möglichen Spielweisen ausgedacht, die das Spiel interessanter als den Vorgänger machen sollten, und habe die Organisation des Teams und die Führung der Teammitglieder übernommen. Aber vor allem habe ich jede Menge Artikel erstellt – wie am Fließband –, die im Spiel auftauchen.2 Syn Sophia, Inc.: Entwicklerstudio, das z. B. „SimCity DS“, „Ganbaru Watashi no Kakei Diary“ und „Mawashite Tsunageru Touch Panic“ entwickelt hat. Das Unternehmen war auch an der Entwicklung von „Style Boutique“ beteiligt. Das Unternehmen hieß früher AKI Co., Ltd.
Sie standen also an vorderster Front und schlugen sich mit allerlei Modeartikeln herum.
Ja, so könnte man es auch ausdrücken. Dazu werde ich nachher noch mehr sagen.
Gut. Mr. Tamura?
Mein Name ist Tamura und ich vertrete Drumcan.3 Drumcan ist ein Unternehmen, das Modenschauen produziert. Bei der Erstellung von „Nintendo präsentiert: New Style Boutique“ hat man uns um unsere professionelle Meinung zum Thema Mädchen- und Damenmode gebeten. Wir haben dann Designer empfohlen, die Videospiele mögen und Ratschläge geben konnten.3 Drumcan Inc.: Ein Unternehmen der Modeindustrie, das Modenschauen für Marken und Unternehmen plant und produziert sowie Partys und andere Veranstaltungen in Japan und im Ausland organisiert.
Ich bin Tsujii, der Kreativchef. Als es mit der Entwicklung dieses Spiels losging, habe ich mit Mr. Tamura bei Drumcan gearbeitet.
Aber jetzt haben Sie neue Wege eingeschlagen und ein eigenes Unternehmen aufgebaut.
Ja. Für dieses Spiel hat Mr. Tamura zwei Designer ausgewählt und ich habe die Koordination mit diesen übernommen. Gemeinsam haben wir versucht uns vorzustellen, was nächstes Jahr und im darauffolgenden Jahr in Mode sein wird, und dann habe ich sie ständig gefragt, ob bestimmte Artikel zusammenpassen und was sie von diesem oder jenem Stück halten. Aber die Entwicklung eines Videospiels braucht viel Zeit und da gab es auch Momente, wo ich völlig verblüfft war über die unterschiedlichen Ansichten.
Ich schätze, im Vergleich zur Ausrichtung einer Modenschau dauert die Entwicklung eines Videospiels wirklich sehr lange. Und wenn kein zufriedenstellender Fortschritt erzielt wird, verlängern wir die Entwicklung eben. Wir haben Ihnen da vermutlich einiges zugemutet.
Nein, nein, überhaupt nicht! (lacht) Aber wenn wir nur die Dinge in das Spiel aufgenommen hätten, von denen wir annahmen, dass sie demnächst in Mode sein würden, dann wären sie beim Erscheinen des Spiels möglicherweise schon wieder passé gewesen. Daher haben wir z. B. versucht, dahingehend zu beraten, dass bestimmte Arten von Kleidungsstücken in einem bestimmten Stadium geeignet wären.
Ich danke Ihnen sehr, dass Sie über so lange Zeit mit uns zusammengearbeitet haben.
Ich bitte Sie – es war mir ein Vergnügen.
Im Gegensatz zum letzten Mal haben wir das Spiel von Anfang an in Zusammenarbeit mit Modeexperten entwickelt, um wirklich modische Outfits zu erstellen. Mr. Tamura, erzählen Sie doch mal, woran Sie in der Vergangenheit gearbeitet haben.
Tja, natürlich habe ich bei meiner Arbeit auch mit Modenschauen für Mädchenmode zu tun. Ich glaube, es war vor etwa 13 Jahren, jedenfalls damals, als Handy-Displays von monochrom auf Farbe umgestellt wurden, als wir eine Anfrage von einem Unternehmen bekamen, das eine Schau ausrichten und Kleidung übers Handy verkaufen wollte.
Sie haben eine Modenschau ausgerichtet, um dann Kleidung übers Handy zu verkaufen?
Ja. Bis dahin war ich der Auffassung, dass man Kleider einkauft, indem man ins Geschäft geht, etwas anprobiert und es dann kauft. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass man Kleider übers Handy kaufen würde, nur weil die Displays jetzt farbig waren. Damals machte es auch noch so ein piepsig-gurgelndes Geräusch, wenn man seinen Computer mit dem Internet verbunden hat.
Das waren die Zeiten des Analog-Modems.
Wenn man damals eine Suche nach dem Schlagwort „Mode“ durchgeführt hätte, hätte man wahrscheinlich höchstens zwei oder drei Treffer erzielt.
Bestimmt! (lacht) Die Computerkommunikation begann in der Welt der Technik; es gab eine ziemliche Verzögerung, bis die Modewelt dazustieß.
Daher hatte ich große Zweifel, dass wir eine echte Modenschau abhalten und dann Kleider übers Handy verkaufen könnten. Aber es hörte sich gut an, und so war ich bereit es auszuprobieren. Anstatt der damals üblichen Models haben wir solche Models verwendet, wie sie in Akamoji-Modezeitschriften4 („rote Buchstaben“) auftraten, die von jungen Frauen gelesen wurden und sich zum Ziel gesetzt hatten, leicht verständliches Modeentertainment zu bieten.4 Akamoji-Modezeitschriften: Modezeitschriften, die von jungen Frauen im Alter um die 20 Jahre gelesen werden. Die Schriftzüge auf dem Deckblatt waren häufig rot, wodurch sie den Namen „akamoji“, sprich Zeitschriften mit „roten Buchstaben“, erhielten.
So haben Sie also angefangen – und das haben Sie bis zum heutigen Tage gemacht?
Auf dem Weg gab es viele Wendungen. Vor sieben Jahren haben wir zum ersten Mal eine große Modenschau in einer Turnhalle in Yoyogi abgehalten, wo man dann direkt vor Ort die Kleidung kaufen konnte, die auf dem Laufsteg vorgeführt wurde.
Daraus hat sich die inzwischen extrem beliebte Tokyo Girls Collection5 entwickelt.5 Tokyo Girls Collection: Eine Modenschau für junge Frauen, die zweimal pro Jahr stattfindet, um echt japanische Kleidung populär zu machen. Die erste dieser Schauen fand im August 2005 im Yoyogi National Stadium Gymnasium 1 in Tokio statt.
Genau. Bis dahin waren Modenschauen reine B2B-Veranstaltungen (Business to Business), zu denen Angehörige der Branche eingeladen wurden; aber wir haben das in B2C (Business to Consumers) geändert und Kleidung für die allgemeinen Verbraucher vorgestellt, die dann auch gleich Stücke kaufen konnten, die ihnen gefielen.
Insofern haben Sie in vielerlei Hinsicht gegen den gesunden Menschenverstand gehandelt. (lacht)
Wahrscheinlich! (lacht)
Wenn man sich in der Unterhaltungswelt gegen die Konventionen stellt und das dann auch noch gut funktioniert, sind die Leute oft nicht nur überrascht, sondern auch erfreut.
Stimmt.
Es ist ja nicht so, dass alles ein Hit wird, wenn man den gesunden Menschenverstand in den Wind schlägt; aber wenn man etwas riskiert, hat manchmal etwas Erfolg, das dem herkömmlichen Denken komplett entgegensteht – und Derartiges wird schließlich allgemein als Teil des Normalen akzeptiert.
Ja, das glaube ich auch. Wir haben vor 13 Jahren angefangen, dann kam der große Girl-Boom und jetzt ist das Ganze wie eine voll erblühte Blume, die das Herzstück eines Tafelaufsatzes bildet.
Sie sind dem herkömmlichen Denken der Modewelt immer zuwidergelaufen. Was genau haben Sie bei der Arbeit also im Sinn?
Unterm Strich geht es nur darum, ob es Spaß macht oder nicht.
Ach so – das gilt also nicht nur für Videospiele, sondern Sie wenden das auch auf die Modewelt an?
Vielleicht ist das nur mein ganz persönlicher Wahn.
(lachen)
In der Welt der Videospiele ist „Spaß oder nicht“ einer der Standards. Und das gilt wirklich auch für die Modewelt?
Na ja, vielleicht ist das wirklich nur meine Sicht. Aber darum haben wir die Tokyo Girls Collection ins Leben gerufen.
Verstehe.
Ich hatte vor, die Strukturen der herkömmlichen Schauen, bei denen die Models einfach nur auf den Laufsteg herauskommen und wieder verschwinden, aufzubrechen. Die Models bewegen sich auf unterschiedlichste Weise, sodass die Zuschauer eine Art von Geschichte miterleben und sich dem Erlebnis näher fühlen. So eine Show muss doch viel mehr Spaß machen!
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