Ich möchte noch ein bisschen ausführlicher auf das Game-Design für „ZombiU“ eingehen. Ein Aspekt besteht darin, dass ein Spieler, der von den Zombies infiziert wird, selbst zum Zombie wird. Das ist recht ungewöhnlich. Ich glaube, das gab es bisher nicht.
Als wir uns entschieden, ein Zombie-Spiel zu machen, wollten wir, dass der Spieler dieselben Emotionen erlebt, die er auch in einem Zombiefilm durchlebt. Man hat eine Reihe Charaktere, die nach und nach ins Spiel geschickt werden, und irgendwann kommt man an den Punkt, wo man vor der grausamen Entscheidung steht: „Töte ich meinen zu einem Zombie mutierten Freund, oder lasse ich mich von ihm töten?“ Diese Entscheidung bewirkt einen inneren Konflikt.
Sie haben also nach einem Motto gesucht, das dem Genre so gut entspricht, wie möglich?
Ja. Als Spieler denkt man allerdings schon: „Ich möchte nicht angegriffen werden.“ Weil es sich aber um eine Geschichte mit Zombies handelt denkt man: „Als Nächstes bin ich dran.“ Und unbewusst möchte man doch angegriffen werden. Wir hatten das Bedürfnis, dem Spiel eine geheimnisvolle Atmosphäre zu verleihen, die man aber eben nur bei dieser Art von fiktivem Medium erreichen kann.
Wenn einer der Charaktere des Spielers stirbt, geht er dem Spieler verloren. Der Charakter treibt fortan in seinem neuen Dasein in London sein Unwesen und macht Jagd auf neue Opfer.
Das muss ein komisches Gefühl sein! (lacht) Was macht der Spieler in dieser Situation?
Wenn einer der Charaktere des Spielers getötet wird, will der Spieler es natürlich noch mal versuchen, daher kann das Spiel nicht einfach für ihn enden. Die Antwort war also offensichtlich: Der Spieler betritt die Welt in Form eines anderen Überlebenden.
Sie meinen, der Spieler kehrt als jemand völlig anderes zurück?
Genau. Er kann in allen möglichen Formen wiederkehren, also ein anderes Geschlecht, ein anderes Alter oder eine andere ethnische Herkunft haben.
Eine Sache, die wir umkrempeln wollten, war die ungeschriebene Regel der Spielewelt, dass man nach dem Tod wiederkehrt und dieselbe Szene wiederholen muss, in der man getötet wurde.
Wow. Das ist etwas ganz Anderes, als nur als anderer Charakter weiterzuspielen …
Genau. Den Rucksack, den der Charakter bei sich hatte, als er getötet wurde, behält der Charakter, der gerade zum Zombie wurde. Wenn der Spieler das Spiel als neuer Überlebender betritt, besitzt er gar nichts. Er muss sich also seinen Rucksack zurückholen, um überleben zu können.
Aha. Er muss also seinen vorherigen Charakter auslöschen, der jetzt ein Zombie ist?
Genau. In der Welt von „ZombiU“ sind die Chancen, dass ein Spieler das Ende der Geschichte mit ein- und demselben Charakter erreicht, mehr oder weniger Null.
Da müssen Sie aber ziemlich getüftelt haben, um eine Möglichkeit zu finden, die Handlung jeweils fortzusetzen, oder? Was Sie erreicht haben, wäre nämlich nicht möglich, wenn es sich um eine lineare Handlung mit einem einzelnen Helden handelte, der allerhand erlebt, bis er am Ende sein Zeil erreicht.
In dieser Hinsicht bringt „ZombiU“ eine völlig neue Art der Handlungskonstruktion mit sich, die es in anderen Spielen so noch nicht gegeben hat. Der Charakter des Spielers ist im traditionellen Sinn kein Held, daher muss die Handlung von der Umgebung getragen werden. Weil sich der vom Spieler gesteuerte Charakter ständig ändert, erlebt der Spieler das Ende der Welt in „ZombiU“ stattdessen visuell.
Auf eine bestimmte Weise haben Sie eine objektive Welt geschaffen, die von der Ich-Perspektive gelöst ist: eine Welt, in der nacheinander unterschiedliche Dinge geschehen. Und dadurch, dass der Spieler diese Situationen erlebt, beginnt er, die Handlung als solche zu begreifen. Richtig?
Genau. Besonders wichtig beim Konstruieren der Handlung in diesem Spiel war das beständige Design der Level.
Was genau meinen Sie damit?
Wenn man das Spiel als neuer Spieler betritt, profitiert man davon, dass bestimmte Türen schon vom vorherigen Charakter geöffnet worden sind. Auch Missionsobjekte, die vom vorherigen Charakter gefunden wurden, sind bereits im Unterschlupf am Ausgangspunkt verfügbar. Bereits getötete Zombies kehren auch nicht plötzlich zurück, wenn man an den Ort zurückkehrt, wo der vorherige Spieler getötet wurde, sondern die Handlung geht da weiter, wo sie unterbrochen wurde. Man könnte das Spiel also mit einem Staffellauf vergleichen.
In Ihrer Antwort klingt alles so einfach und natürlich, doch ich bin sicher, dass es ganz schön kompliziert war, alles so hinzukriegen.
Vielleicht sollte ich es nicht verraten, doch das Konzept zu entwickeln, war eigentlich ganz leicht. (lacht) In den späteren Phasen des Projekts gab es dann aber extrem viele Situationen, wo wir uns gefragt haben, „Was wäre wenn?“ Zum Beispiel haben wir uns gefragt, was passiert, wenn bestimmte Situationen auftreten. Da mussten wir uns dann jedes Mal eine Antwort überlegen. Es war ein unheimlich komplexer Vorgang, denn wenn Leute plötzlich spontan Entscheidungen fällen müssen, kann das allerhand unerwartete Resultate nach sich ziehen. (lacht)
Das war echt knochenharte Arbeit, doch die Testdurchläufe und Prototypen haben uns hierbei enorm weitergeholfen.
Und nebenbei erhielten Sie von Yves die Anweisung, dass das Spiel definitiv pünktlich zur Veröffentlichung der Wii U fertig sein musste. Wie haben Sie das geschafft, obwohl Sie sich mit drei konkurrierenden Aspekten auseinandersetzen mussten: der Frist für die Entwicklung, der Herausforderung, etwas Neues zu erschaffen und dem Erreichen eines Standards, der zu einem guten Resultat führen würde?
Schlicht gesagt: durch Schlafmangel!
(lacht) Ich glaube, das ist überall gleich.
Ein weiterer Aspekt war das Feedback, dass wir von den Spielern und den Medien bekamen, wenn wir einen Teil des Spiels vorgestellt haben. Das hat unser Team immer sehr motiviert. Besonders die E3 hat uns enorm Antrieb gegeben. Es war definitiv die Reaktion der Spieler, die das Team motiviert hat. Sie hat dafür gesorgt, dass wir immer weitergearbeitet, informierte Entscheidungen gefällt und notfalls sogar Funktionen wieder verworfen haben.
Aus den Reaktionen der Spieler Motivation zu schöpfen ist ganz sicher einer der Aspekte, die letztendlich zu einem guten Spiel beitragen, finden Sie nicht?
Auf jeden Fall! Ein weiterer Erfolgsfaktor ist, stets das Veröffentlichungsdatum im Auge zu behalten. Das Team hat gemeinsam auf dieses Ziel hingearbeitet. Am Ende haben wir das Spiel fertig gestellt, ohne irgendwelche wichtigen Funktionen zu verwerfen. Anfangs hatten wir noch damit gerechnet, dass manches es nicht in die Endversion schaffen würde, doch dank der Funktionen der Wii U-Hardware mussten wir wirklich fast nichts weglassen.
Wenn Sie uns allerdings vor sechs Monaten gefragt hätten, ob wir glauben, dass wir all das erreichen würden, hätten wir Nein gesagt!
(lachen)
Ich muss wirklich sagen, dass Sie trotz der engen Frist und der kurzen Entwicklungszeit wirklich tolle Inhalte eingebaut haben. Außerdem scheinen Sie bei all den Veranstaltungen, auf denen „ZombiU“ vorgestellt wurde, wirklich positive Rückmeldung erhalten zu haben.
Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die Demo, die wir auf der E3 vorgestellt haben. Wir haben eine klassische Schrecksituation gewählt, in der ein Zombie aus dem Schrank springt und den Spieler erschreckt. Als wir die Szene umgesetzt hatten und dann den Leuten in der Entwicklung vorgeführt haben, fanden die das gar nicht gruselig, weil es bloß ein Zombie war, der einen da ansprang. Das hat uns ein bisschen entmutigt. Wir haben trotzdem weiter daran gearbeitet, unser ganzes Herzblut reingesteckt und die Demo fertiggestellt.
Und was ist dann auf der E3 passiert?
Alle haben nur noch darüber geredet, wie die Spieler an der Stelle im Spiel vor Schreck fast das GamePad der Wii U fallen gelassen haben.
(lachen)
Das hat uns total überrascht, aber auch sehr glücklich gemacht. Wenn man lange Zeit in einem Team an der Entwicklung arbeitet, fragt man sich irgendwann, ob das, was man macht, richtig ist, und beginnt an sich zu zweifeln. Doch als wir von der E3 zurückkamen und den Kollegen berichtet haben, was für eine unglaubliche Wirkung diese Szene hatte, sind sie fast von den Stühlen gekippt! (lacht) Das hat die Atmosphäre im Team von Grund auf geändert und uns das Selbstvertrauen gegeben, weiter an solchen Szenen zu arbeiten. Es war eines meiner besten Erlebnisse während der Entwicklung von „ZombiU“, und eines, das ich nie vergessen werde.
Wenn man bei seiner Arbeit solch einen magischen Moment erlebt, kann das die Leute enorm motivieren. Auch nach der Vorführung auf der E3 wird uns dieser magische Moment erhalten bleiben, und zwar den Kunden wie auch den Mitarbeitern in der Entwicklung.
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