4. Der Wechsel von 2D zu 3D

Iwata:

Als ich meine zwei Gesprächsrunden mit den Mitarbeitern des Originalspiels „Ocarina of Time“ geführt habe, habe ich mich gewundert, warum sie alle eigentlich so wahnsinnig viel Spaß hatten, darüber zu reden. Mir war, als hätten sie vielleicht einfach Freude daran gehabt, zu sehen, wie sich das Spiel von Tag zu Tag verbessert.

Miyamoto:

Wahrscheinlich.

Iwata:

Und jetzt, da ich mich mit Ihnen unterhalte, erfahre ich, dass Sie in kürzester Zeit eine Menge neuer Dinge entdeckt haben. Da gab es eine konzentrierte Phase voller Entdeckungen, in denen Ihnen ein Licht nach dem anderen aufging.

Iwata Asks
Miyamoto:

Deshalb hat ja auch jeder Tag unheimlich viel Spaß gemacht.

Iwata:

Wenn jeder Tag neue Entdeckungen bringt und diese dann auch noch so konzentriert auftreten, hat der Entwickler einfach mehr Spaß, ganz egal, wie anstrengend es ist oder wie lange man arbeiten muss.

Miyamoto:

Genau. Und andererseits macht es nicht immer Spaß, ein Spiel mit den gewohnten Methoden einfach routiniert abzuwickeln.

Iwata:

Stimmt.

Miyamoto:

Wenn man etwas von 2D in 3D umwandelt, entdeckt man aber immer viel Neues – bestimmte Dinge sind beispielsweise plötzlich nicht mehr lustig. In „The Legend of Zelda: A Link to the Past“13 konnte man zum ersten Mal in der Zelda-Serie das Gras mähen. Das stellte sich damals als überraschend unterhaltsam heraus. Die Spieler sprachen sogar darüber, dass man in diesem Videospiel mit einer Wirbelattacke das Gras schneiden konnte! (lacht) 13.The Legend of Zelda: A Link to the Past: Ein Action-Abenteuerspiel, das im November 1991 für das Super Famicom-System in Japan erschien.

Iwata:

(lacht)

Miyamoto:

Aber als wir dieses Element in „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ übernehmen wollten, war das irgendwie, als stünden wir unter Befehl.

Iwata:

Sie konnten nicht sicher sein, dass das Grasmähen in 3D mehr Spaß machen würde.

Miyamoto:

Eben. Gerade als wir überlegten, dass die Neuauflage eines alten Themas in schönerer Optik eigentlich nicht besonders beeindruckend ist, begannen wir auch uns zu fragen, wieso man eigentlich das Gras schneiden, aber nicht die Schilder niedermähen konnte.

Iwata:

Also haben Sie Mr. Morita von SRD gebeten, sich darum zu kümmern. Er hat mir davon erzählt. (lacht)

Miyamoto:

Ach, Sie haben schon davon gehört? (lacht) Wir konnten dann auch die Schilder umhauen, aber uns war klar, dass die Spieler sie in unterschiedlichen Richtungen niedermähen würden. Als ich sagte, dass das Schild diagonal geschnitten werden sollte, wenn Link diagonal schwingt, erstarrten alle um mich herum: „Wir können doch nicht feststellen, wo genau jemand zugeschlagen hat!“

Iwata:

Sie wollten, dass die Schilder genau dort geschnitten wurden, wo man zugeschlagen hatte?

Miyamoto:

Selbst mit dem Nintendo 64-System wäre das unmöglich. Deshalb erklärte ich, dass wir einfach nur verschiedene Schnittmuster brauchten.

Iwata:

Dann haben Sie sechs Teilstücke erstellt, wie bei einem Käselaib.

Miyamoto:

Genau. Dann konnte man die Schilder aus verschiedenen Richtungen schneiden. Aber wenn ein Stück absprang und in den See flog, fiel es klappernd auf den Grund, da wir keine Kollisionserkennung für den Wasserkontakt eingerichtet hatten.

Iwata:

Das wäre aber seltsam, wenn man beim Aufprall auf Wasser ein Klappern hören würde.

Miyamoto:

Normalerweise würde man es einfach vermeiden, Schilder in der Nähe von Wasser aufzustellen, aber Mr. Morita gestaltete das Ganze so, dass das Stück auf dem Wasser schwamm.

Iwata:

Und es treibt davon.

Miyamoto:

Ja. Mr. Morita war sich sicher, dass die Spieler das lieben würden. Und plötzlich wollten wir dann möglichst viele Schilder am Wasser aufstellen!

Iwata:

Mr. Haruhana hat das als „angriffslustige Gastfreundschaft“ beschrieben.

Miyamoto:

Oh …

Iwata:

Anders ausgedrückt – das Spiel ist sehr gastfreundlich, besitzt aber eine gewisse Derbheit. Diese Gastfreundlichkeit ist überall und wartet nur darauf, dass jemand eintritt, so dass sie sich auf ihn stürzen kann!

Miyamoto:

Wie in einem Spukhaus.

Iwata:

Genau. Sie greift an wie in einem Spukhaus. (lacht)

Miyamoto:

Ich finde, „Gastfreundschaft“ ist ein gutes Wort hierfür. Als wir das Spiel auf dem Super Famicom-System hatten, gab es da diese Idee, sich an ein Huhn zu klammern und mit diesem zu fliegen. Ich dachte, das würde komisch wirken, wenn die Grafiken realistischer wären. Aber als wir es ausprobierten, war ich positiv überrascht, dass alles perfekt zusammenpasste. Mir ging auf, dass derartige Dinge in einem 3D-Raum mehr Spaß machen, und ich schlug vor, Landschaften dreidimensionaler zu gestalten.

Iwata:

Sie haben die Landschaften für einen Hühnerflug geändert.

Miyamoto:

Ungefähr um dieselbe Zeit fand ich eigentlich sämtliche Dörfer völlig öde und langweilig. Ich begann, auf Dörfer in den Bergregionen Chinas hinzuweisen, wie man sie in Dokumentarfilmen zu sehen kriegt: „Seht ihr? Es gibt unterschiedlichste Dörfer!“ Und ich fragte, ob wir nicht ein markanteres Dorf erstellen könnten. Und das passte dann alles perfekt zu den Hühnern.

Iwata Asks
Iwata:

Die Dörfer erhielten mehr Abhänge, so dass das Fliegen mit den Hühnern sich besser anfühlte.

Miyamoto:

Ja. Das war auch eine Art von Gastfreundschaft. Nachdem wir die Dörfer bearbeitet hatten, machten wir in dieser Stimmung weiter und haben den Zora-Fluss überarbeitet, so dass dieser mehr Höhenunterschiede aufwies.

Iwata:

Nachdem Sie eine Sache abgehandelt hatten, haben Sie gleich etwas anderes zu tun gefunden.

Miyamoto:

Ja, genau. Ursprünglich stand in den Spezifikationen zum Zora-Fluss lediglich: „Erstellen Sie eine Landschaft, wie man sie normalerweise nicht zu sehen bekommt.“ (lacht)

Iwata:

Das ist aber ganz schön vage! (lacht)

Miyamoto:

Für Mr. (Makoto) Miyanaga und andere, die für die Landschaften verantwortlich waren, war das völlig ausreichend. Sie brauchten ihnen nur zu sagen: „Wir wollen ein markantes Dorf“ oder: „Macht mal eine echt burgige Burg!“ (lacht)

Iwata:

(lacht)

Miyamoto:

Beim Zora-Fluss hieß es eben: „Erstellen Sie eine Landschaft, wie man sie normalerweise nicht zu sehen bekommt.“ Aber die Natur ist ja ziemlich spektakulär. Viele echte Landschaftsformen sprengen unsere Vorstellungskraft – da können unsere Erfindungen gar nicht mithalten.

Iwata:

Wahrscheinlich nicht.

Miyamoto:

Wenn man im Flugzeug nach Norden reist …

Iwata:

Wenn man z. B. nach Europa fliegt.

Miyamoto:

Eher von Europa nach Amerika. Wenn man dann in der Nähe des Polarkreises nach unten blickt, sieht man viele eigenartige Landschaftsformen, die einen neugierig machen. Man würde sich am liebsten nach unten beamen und genauer umsehen.

Iwata:

Aber man würde wahrscheinlich feststellen, dass es sich um einen sehr unwirtlichen Ort handelt. (lacht)

Miyamoto:

Ja. Wenn Sie sich dort wirklich hinwagen würden, kämen Sie wahrscheinlich nie mehr zurück! (lacht) Wenn ich derartige Orte sehe, geht mir immer auf, wie beschränkt wir in unserer Vorstellung und unseren Gedanken sind. Selbst wenn wir etwas sehr Ungewöhnliches aus Polygonen erstellen würden, sähe es unerfindlicherweise immer noch wie eine Landschaft aus, die einem auch im wahren Leben begegnen könnte. Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, jeden Tag derartige Dinge zu kreieren.

Iwata:

Noch mehr konzentrierte Entdeckungen!

Miyamoto:

Genau. Als wir an „The Legend of Zelda: Ocarina of Time“ arbeiteten, haben wir unsere ganze Energie auf neue Dinge gelenkt.

Iwata:

Es ist beeindruckend zu sehen, wie jemand sich derart in etwas reinhängt.

Miyamoto:

Ja. Aber diejenigen von uns, die das Spiel erstellten, fanden bis zum Schluss, dass diverse Dinge einfach noch nicht gut genug waren. Da gibt es beispielsweise den Mythen-Stein, an dem man Hinweise und Gerüchte zu hören bekommt. Wenn man eine Bombe neben diesem platziert …

Iwata:

… geht er ab wie eine Rakete. Als ich das zum ersten Mal sah, war ich baff. (lacht)

Miyamoto:

Das haben wir zum Ende hin eingefügt. Wir hatten überall so viele Mythen-Steine verteilt, dass wir irgendwann keinen Text mehr für sie hatten. Da habe ich dann gesagt: „Lasst sie doch einfach die Zeit ansagen.“ (lacht)

Iwata:

(lacht)

Miyamoto:

Damit sagten wir dem Spieler dann quasi: „Falscher Stein. Vielleicht hast du beim nächsten Mal mehr Glück.“ (lacht)

Iwata:

Ja, oder: „Bis zum nächsten Versuch!“ (lacht)

Miyamoto:

Bis zum Ende hatten wir alle den Eindruck, dass irgendetwas fehlte, und zweifelten, ob es wirklich gut genug war.

Iwata:

Ich nehme an, so kam es zu all der angriffslustigen Gastfreundschaft im Spiel.

Iwata Asks
Miyamoto:

Ja, ich glaube schon!