2. Ein reges Hin und Her

Iwata:

Ich habe das Gefühl, dass es zwischen Ihnen ein reges Hin und Her gibt und Sie sich gegenseitig die Bälle zuwerfen, so dass Ihnen Mr. Sakaguchi z. B. seine Vision einer Spielwelt "zuwirft", die er umsetzen möchte, und Sie fangen die Idee auf und werfen sie praktisch in Musikform zurück.

Uematsu:

Ja, das sehen Sie richtig. Zuerst gab es bei uns schon noch Diskrepanzen zwischen dem, was Mr. Sakaguchi im Kopf hatte, und dem, was ich ausdrücken wollte. Aber mit der Zeit hat Mr. Sakaguchi aufgehört mir zu sagen, was ich tun soll. Seit der Entwicklung des ersten "Final Fantasy" hat er alles meinem Urteil überlassen.

Sakaguchi:

Wir waren uns nur einmal uneinig, und das war eben beim ersten "Final Fantasy", nicht wahr?

Uematsu:

Richtig. Aber Sie hatten schon immer sehr genaue Vorstellungen von den Spielen, die Sie umsetzen wollten. Das trifft vor allem auf "The Last Story" zu.

Iwata:

Für Mr. Sakaguchi ist es also äußerst wichtig, dass die einzelnen Elemente des Spiels zu seinem Gesamtkonzept passen. Er gibt Ihnen die Freiheit, auf Ihrem Spezialgebiet alles so auszudrücken, wie Sie es für richtig halten, aber er macht keine Kompromisse, wenn es um die übergreifende Vorstellung zum Spiel geht.

Uematsu:

Das stimmt. Er lässt es einen immer wissen, wenn man vom richtigen Weg abkommt. Mr. Sakaguchi macht selber auch Musik, er hat also gerade in diesem Bereich besonders hohe Ansprüche. Man kann ihm dabei wirklich nichts vormachen! (lacht)

Sakaguchi:

Ich konfrontiere ihn auch gerne und sage z. B.: "Haben Sie es hier mit den Akkorden nicht ein bisschen übertrieben?" (lacht)

Iwata:

Ah, das hört man natürlich nicht gerne, vor allem wenn man weiß, dass man diese Fehler in der Vergangenheit wirklich schon gemacht hat ... (lacht)

Uematsu:

Ja, genau! (lacht) Ich erinnere mich, dass Mr. Sakaguchi einmal bei den Aufnahmen ins Studio gekommen ist, und da war nur eine falsche Note in der Musik. Er sagte: "Hey, die Note harmoniert aber nicht mit den anderen." Und dann ist er einfach so wieder gegangen.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Das ist doch ziemlich beeindruckend, finden Sie nicht? (lacht)

Iwata:

Das ist auf jeden Fall ein deutlicher Unterschied zu der Situation bei FF1, als Sie Ihre Meinung komplett geändert haben, nachdem einfach nur die Reihenfolge der Stücke umgestellt worden war. (lacht)

Alle:

(lachen)

Iwata:

Wir haben schon erwähnt, wie wichtig das Gesamtkonzept des Spiels für Sie ist, Mr. Sakaguchi. Aber wie genau vermitteln Sie Mr. Uematsu Ihre Vision? Es muss doch schwierig sein, etwas so Abstraktes zu erklären?

Sakaguchi:

Das ist es. Man kann die Spielwelt mit den eigenen Worten erklären, oder die Handlung, aber ohne entsprechende Illustrationen kann es sehr schwierig sein, die eigene Vorstellung des Gesamtkonzepts zu vermitteln. Deshalb überarbeitet Mr. Uematsu die Musik auch immer und immer wieder, während wir im Austausch bleiben. Aber ich achte darauf, ihm nicht zu viele genaue Instruktionen zu geben. Ich sage z. B. nicht: "Es soll so klingen wie das Stück aus dieser Oper ..." Wenn man das tut, fühlt er sich von diesem Musikstück eingeschränkt und dann wird das Ergebnis nicht so gut.

Iwata:

Es ist bestimmt ein schwieriges Gleichgewicht, die eigene Vorstellung zu vermitteln, ohne die kreative Inspiration der anderen einzuschränken.

Sakaguchi:

Das stimmt. Ich sage oft einfach nur: "Tut mir leid, Mr. Uematsu. Das ist noch nicht richtig so."

Uematsu:

Es stimmt, dass er mir noch nie ein spezielles Musikstück als Vorlage gegeben hat. Ich denke immer darüber nach, wie ich ihm die Musik am besten präsentieren kann, aber vormachen kann man ihm nichts. Wenn man nicht genau richtig liegt, fällt es ihm auf jeden Fall auf. (lacht)

Alle:

(lachen)

Uematsu:

Nach so vielen Jahren Zusammenarbeit ist mir klar geworden, dass es einfach keinen Ersatz dafür gibt, mit Herz und Seele dabei zu sein. Ich kann einfach das Konzept lesen und daraus entstehen dann schon die Ideen bei mir. Aber wenn ich sie Mr. Sakaguchi präsentiere und er sagt, dass sie nicht passen, dann macht es keinen Sinn, seine Beurteilung in Frage zu stellen. Er ist schließlich derjenige, der eine Vorstellung davon hat, wo das Projekt hinführen soll, und wenn er sagt, dass etwas nicht richtig dafür ist, dann ist es nicht richtig.

Iwata:

Dann fällt Ihnen auf, dass Ihre Interpretation des Spielkonzepts von seiner abgewichen ist.

Uematsu:

Genau.

Iwata:

Was meinen Sie, warum dieses Hin und Her und dieser Austausch zwischen Ihnen beiden seit so vielen Jahren so gut funktioniert?

Sakaguchi:

Ich weiß nicht, ob ich das so sagen kann, aber ich finde, dass Mr. Uematsu eine überraschend ernste Seite hat, und das ist etwas, was wir gemeinsam haben.

Uematsu:

Überraschend ernst, sagt er! (lacht)

Sakaguchi:

Er hat auf jeden Fall etwas sehr Präzises und Methodisches an sich - eine Art zielgerichtete Entschlossenheit. Ich finde, das hört man auch in seiner Musik. Ich habe einfach das Gefühl, dass wir auf derselben Wellenlänge sind.

Iwata Asks
Uematsu:

Vielleicht teilen wir auch viele Werte. Wir haben größtenteils dieselbe Vorstellung davon, was wir wichtig finden.

Sakaguchi:

Ja, das könnte natürlich auch sein.

Uematsu:

Vielleicht hört es sich etwas abgehoben an, aber bei der Arbeit geht es wirklich um mehr als nur um Geld. Ich denke, wir haben beide diese Wertvorstellung. Man muss auch mit den eigenen Eltern respektvoll umgehen, sich um die Familie kümmern und ab und zu die Freunde auf einen Drink treffen. Ich denke, dass Mr. Sakaguchi und ich beide die Fähigkeit haben, an diesen Alltäglichkeiten viel Freude zu haben.

Iwata:

Sie haben also scheinbar ähnliche Wertvorstellungen, so dass Sie einander vertrauen können und genau verstehen, was der andere denkt. Trotzdem können Sie aber auch Schwierigkeiten miteinander besprechen. Ich finde, es ist in der Kreativindustrie äußerst wertvoll, wenn man eine enge persönliche Beziehung aufrechterhalten und gleichzeitig konstant gute Resultate erzielen kann.

Sakaguchi:

Ich finde, in der Musik gibt es Melodien, die man einfach sofort mag, und solche, die etwas ungewöhnlicher sind, die manche Leute begeistern und anderen gar nicht gefallen. Ich denke, dass Mr. Uematsus Musik die Meinungen manchmal spaltet, aber die Melodien sind nie belanglos. Wenn ich sie höre, will ich mir auch die Mühe machen, mich voll darauf einzulassen.

Uematsu:

Es freut mich sehr, das von Ihnen zu hören.

Sakaguchi:

Dann merke ich beim Zuhören, wie sich mein Eindruck langsam verändert. Manchmal fange ich sogar an zu denken, dass ich das Spiel so ändern sollte, dass es besser zur Musik passt.

Iwata:

Dann reagieren Sie ja so auf die Musik, als ob darin etwas ausgedrückt werden konnte, das Ihnen selber noch gar nicht von Anfang an klar war. Sie haben anscheinend wirklich eine ganz besondere Beziehung zueinander.

Sakaguchi:

Bei diesem Spiel hat Mr. Uematsu ungefähr vierzig Musikstücke geschrieben und ich habe das Gefühl, dass "The Last Story" noch einmal eine neue Gestalt annimmt, wenn man die Musik dazu hört. Und das ist die Macht von Mr. Uematsus Melodien. Die Musik ist nicht einfach nur schön, sondern sie transportiert auch eine große Menschlichkeit. Man erkennt sofort, dass es seine Songs sind.

Iwata:

Ich bin mir sicher, dass Ihnen die allermeisten Fans von Mr. Uematsu da absolut recht geben würden.

Uematsu:

(seufzt) So lange man mir nicht auf die Schliche kommt ... Die Wahrheit könnte jederzeit ans Licht kommen ...

Iwata:

Wie meinen Sie das?

Uematsu:

Tja, ich arbeite zwar schon sehr lange in diesem Bereich, aber ich war selber nie völlig überzeugt von meiner Musik.

Iwata:

Ist das schon seit den Anfängen Ihrer Karriere so?

Uematsu:

Ja, ist es. Es gibt in jedem Spiel schon ein oder zwei Stücke, die mir wirklich gefallen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass die Leute irgendwann merken werden, dass meine Musik nicht gut genug ist.

Iwata:

Ich weiß, wie unwohl man sich fühlen kann, wenn man für etwas gelobt wird, mit dem man selber nicht völlig zufrieden ist. Aber ich denke, dass alle kreativen Leute, die in ihrem Bereich erfolgreich sind, dieses Gefühl kennen. Es ist genau dieser Gedanke, der einen dazu bringt, sich beim nächsten Projekt noch mehr anzustrengen. Ich finde, dass diese Gefühle für kreative Leute sehr wichtig sind.

Iwata Asks
Uematsu:

Es stimmt schon, dass ich immer vorhabe, beim nächsten Mal alles wieder etwas besser zu machen.

Iwata:

Ich bin mir sicher, dass die Spieler, die Ihre Musik hören, deutlich merken, wie viel Mühe Sie in Ihre Arbeit stecken. Und deshalb sind Sie auch schon so lange ganz vorne dabei in Ihrem Arbeitsbereich.

Uematsu:

Also, mir ist nicht bewusst, dass ich irgendwo ganz vorne dabei bin! (lacht) Aber vielen Dank für das Kompliment.

Iwata:

Ich denke, dass es in der Kreativindustrie wirklich sehr selten und wertvoll ist, wenn man eine Partnerschaft über ein Vierteljahrhundert aufrechterhalten und damit immer wieder großartige Ergebnisse erzielen kann.

Sakaguchi:

Wenn Sie es so ausdrücken, fällt mir auf, dass das wirklich eine lange Zeit ist. Wir arbeiten jetzt seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren zusammen. Mario hat sein 25-jähriges Jubiläum erreicht, und bei uns ist es jetzt genauso ...

Uematsu:

Ein Vierteljahrhundert ... (lacht)

Iwata:

Ich finde, es ist wirklich unglaublich, dass das Mario-Kernteam schon seit 25 Jahren zusammenarbeitet. Und wenn ich jetzt mit Ihnen spreche, wird mir besonders klar, wie wertvoll eine Beziehung sein kann, die über so eine lange Zeit bestehen bleibt.