5. Unkonventionelles Songschreiben

Iwata:

Mr. Sakaguchi, welche Aspekte der Musik in "The Last Story" waren aus Ihrer Perspektive am schwierigsten?

Sakaguchi:

Tja, dazu gehört auf jeden Fall die Kampfmusik, die in verschiedene Abschnitte aufgeteilt ist, wobei sich die Musik entsprechend der Ereignisse im Kampf verändert.

Iwata:

Und das war möglich, weil Mr. Uematsu so viele verschiedene Elemente in die Kampfmelodie hat einfließen lassen, dass sie schließlich über fünf Minuten lang geworden ist.

Sakaguchi:

Richtig. Wenn man sich die fünf Minuten Kampfmusik anhört, merkt man, welche Teile zu welcher Kampfsituation gehören. Ich denke, wenn wir einfach zwei separate Musikstücke zusammengefügt hätten, hätten sie nicht so nahtlos zusammengepasst. Aber weil die Musik ursprünglich als zusammenhängendes Stück geschrieben worden ist, wirkt alles sehr natürlich, selbst wenn die Einzelabschnitte der Situation entsprechend aufgeteilt wurden. Deshalb fügt sich alles nahtlos zusammen, obwohl sich bei der Kampfmusik so viel verändert.

Uematsu:

Sie meinen, dass man alle Abschnitte trennen und wieder nahtlos zusammenfügen kann, weil die Melodien nicht separat voneinander geschrieben worden sind.

Sakaguchi:

Richtig. Aber wir haben die Kampfmusik schon so sehr auseinander geschnitten, dass ich mich trotzdem gefragt habe, ob das nicht zu viele Einzelabschnitte sind.

Uematsu:

Ach, das passt doch absolut.

Sakaguchi:

Es gibt einen Refrain, der Teil der Kampfmusik ist, den wir hin und wieder zu Ereignissen in Zwischensequenzen eingesetzt haben. Das funktioniert wirklich überraschend gut.

Uematsu:

Ich würde sehr gerne alle Songs, die man im Lauf des Spiels getrennt voneinander hört, ganz am Anfang des Spiels zusammen als ein einziges Orchesterstück hören. Was halten Sie davon? (lacht)

Sakaguchi:

Ah, das würde mir auch gefallen. Aber vielleicht sollten wir uns zu einem anderen Zeitpunkt darüber unterhalten ... (lacht)

Alle:

(lachen)

Sakaguchi:

Wenn man so darüber nachdenkt, gibt es mehr als genug Elemente bei der Kampfmusik, die man zusammen als volle Symphonie spielen könnte. Wir haben die Länge des Stücks voll ausgenutzt und die Musik mit dem Spiel verflochten. Meiner Meinung nach bedeutet das Grundkonzept eines Echtzeitspiels, dass alles nahtlos ineinander übergeht. Das betrifft nicht nur die Kampfszenen, sondern auch die Situationen, die den Kämpfen vorangehen. Wir haben dieses Grundkonzept immer im Kopf behalten und ich denke wirklich, dass das ganze Spiel jetzt sehr nahtlos wirkt.

Iwata Asks
Iwata:

Die Idee war ja, dass es nicht der typischen Rollenspielstruktur entsprechen sollte. Ihr Plan war, dass der ganze Ton im Spiel ein zusammenhängendes Ganzes ergibt, nicht wahr?

Sakaguchi:

Genau. Deshalb haben wir versucht, bei der Spielmusik keine kurzen Fanfaren, Jingles oder musikalische Schnörkel zu verwenden.

Iwata:

Und wie war es für Sie, Mr. Uematsu, als Sie das Spiel dann selber spielen konnten, für das Sie die Musik komponiert hatten?

Uematsu:

Ich bin sehr unkonventionell an diese Kompositionen herangegangen und habe mich nicht an das wiederholte Muster von Intro, Strophe und Refrain gehalten. Manche Musikstücke bauen sich nicht zu einem großen Crescendo auf, und mit diesen Melodien wollte ich in erster Linie eine bestimmte Atmosphäre erzeugen. Das funktioniert übrigens erstaunlich gut, wie z. B. im Schloss. Als ich das Spiel selbst spielen konnte, hat sich für mich bestätigt, dass es gut ist, die Musik nicht entsprechend der allgemeinen Regeln geschrieben zu haben. Die Musik soll hier nicht nur einfach verdeutlichen oder unterstützen, was man auf dem Bildschirm sieht. Sie ist vielmehr eine Art Soundeffekt. Es gibt eine Einheit zwischen der mitreißenden Kraft der Bilder und der Musik, und ich finde, dass sie sehr natürlich zusammenpassen.

Iwata:

Sie dient also als atmosphärische Hintergrundmusik, wie ein Umgebungsgeräusch.

Uematsu:

Ja, es gibt auf jeden Fall Musik im Spiel, die diese Rolle erfüllt. Ich finde es eigentlich ziemlich beeindruckend, wie die Musik so ins Spiel integriert wurde. Dabei ist mir noch mal ganz deutlich klar geworden, dass Musik auch so eine Funktion erfüllen kann.

Iwata:

Für Sie war es also eine bereichernde Erfahrung, mit der Musik vor eine neue Herausforderung gestellt zu werden?

Uematsu:

Ja, war es. Aber da ich so etwas zum ersten Mal ausprobiert habe, hat Glück natürlich auch eine große Rolle gespielt. Ich habe das Gefühl, dass man bei dieser Art der Musikgestaltung noch viel entdecken kann.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Es wurden viele Umgebungsgeräusche11 ins Spiel integriert, zu denen z. B. auch Soundeffekte gehören. Dann gibt es die Musik für die Schlösser, die sich damit verbindet. In der Stadt hört man im Vorbeigehen Bruchstücke der Gespräche anderer Leute, oder man hört den Wind beim Überqueren einer Brücke. Die Hintergrundgeräusche und die Musik sind wirklich eng verbunden. Ich finde, dass das der Spielwelt viel Leben einhaucht. 11 Umgebungsgeräusche unterstützen die Atmosphäre der Spielwelt. Dazu gehören z. B. die Geräusche von Wasser, Insekten oder anderen Menschen.

Iwata:

Wie bewerten Sie als Komponist, wie die Musik schließlich in den Spielen eingesetzt wird?

Uematsu:

Das ist eine interessante Frage ... Also, ich stecke ja viel Mühe und Herzblut in die Musik, deshalb will ich natürlich, dass sie den Leuten auffällt und im Gedächtnis bleibt, aber gleichzeitig würde es sich merkwürdig anfühlen, wenn es zu unangebrachten Zeitpunkten auch Musik geben würde. Zu Zeiten des Famicom, als es nur blockige Animationen und drei Kanäle für den Ton gab, konnte man dem Geschehen nur mit Melodien Intensität verleihen. Wenn die Melodie emotional war, konnte man damit eine dramatische Szene gestalten. Damals hatte man einfach keine andere Wahl, als Melodien einzusetzen.

Iwata:

Man konnte die Leute damals nur auf diese Art emotional erreichen.

Uematsu:

Genau. Aber jetzt ist die Spielgrafik so ausdrucksstark, es gibt gesprochene Dialoge, und es gibt viele Umgebungsgeräusche im Hintergrund. Wenn man dann eine Melodie in eine Situation zwängt, wo sie nicht nötig ist, wirkt das zusammen mit den anderen Elementen meistens störend. Es ist besser, wenn man offenen Raum freilässt und für die Dauer eines Taktes nur einen Hintergrundakkord erklingen lässt.

Iwata:

Das bedeutet, dass man für eine ganze Zeit nur dieselben Noten hört. In diesem Spiel gibt es Szenen, wo die Musik wirklich in den Vordergrund tritt, und andere Szenen, wo sie sich in den Hintergrund einfügt. Es gibt eine große Bandbreite von verschiedenen Melodien, die Sie erstellt haben, um jede Szene individuell zu begleiten.

Sakaguchi:

In diesem Spiel gibt es mehr Variation als bei Ihrer bisherigen Arbeit an anderen Spielen.

Uematsu:

Ja, das war etwas, das ich immer im Kopf behalten musste.

Sakaguchi:

Nehmen Sie z. B. die Geigenmusik in der Rückblickszene. Die erklingt nach einem Hintergrundmusikstück und fällt einem dann wirklich auf.

Uematsu:

Ja, da haben Sie recht. Die ist wirklich sehr ergreifend.

Iwata:

Die Leute reagieren je nach Kontext sehr unterschiedlich. Wenn sich zwei Stücke z. B. deutlich unterscheiden, sorgt das für eine noch intensivere Wirkung.

Iwata Asks
Sakaguchi:

Ich mag die Musik in der Rückblickszene sehr gern. Im Vergleich mit den anderen Musikstücken ist diese Melodie ganz besonders vielschichtig.

Uematsu:

Ich denke, das liegt daran, dass wir die Geige live aufgenommen haben.

Sakaguchi:

Ah, das muss es sein ...

Uematsu:

Die Melodie ist sehr markant und wirklich intensiv, nicht wahr? Die Hintergrundakkorde werden auf einem Synthesizer gespielt, und nur die Leitmelodie wird von der Geige gespielt. Es fällt wirklich auf, dass da ein Mensch das Instrument in der Hand hat.