2. Realistischere Gestaltung?

Iwata:

Wii Sports und der Mii-Kanal ergänzen sich unglaublich gut, nicht wahr? Man glaubt gar nicht, dass sie getrennt voneinander entwickelt wurden.

Eguchi:

Ja, dass man die Miis, die man im Mii-Kanal kreiert hat, in diesen fünf Spielen antreten lassen kann, ist eine sehr interessante Funktion. Wii Sports fühlt sich an, als wäre es extra so gemacht, um den Leuten das Potential des Mii-Kanals zu zeigen.

Iwata:

Bevor der Mii-Kanal und die Miis in die Systemfunktionen der Wii-Konsole integriert wurden, haben wir uns verschiedene Gedanken über die Charaktere in Wii Sports gemacht, nicht wahr?

Eguchi:

Ja. Eines der wichtigsten Konzepte von Wii ist, die ganze Familie anzusprechen. Wir dachten, der beste Weg, um dies zu erreichen, wäre, etwas im Spiel zu haben, das den Spieler oder die Mitglieder seiner Familie darstellt. Und dafür wäre ein Charakter, der diesen Leuten ähnelt, am besten geeignet.

Iwata:

Zuerst planten Sie sogar ernsthaft, den Leuten die Möglichkeit zu geben, Bilder von einer Digitalkamera mittels einer SD Card auf die Wii-Konsole zu übertragen und mit diesen Bildern die Gesichter ihrer Charaktere zu erstellen.

Eguchi:

Ja, aber das wäre nur etwas für Leute gewesen, die sich wirklich mit so etwas auskennen. Damit wäre es fast unmöglich, seine Familie an das Spiel heranzuführen, da man ja erst einmal aufwendig Charaktere für sie erstellen müsste. Uns wurde klar, dass wir das Erstellen eines eigenen Charakters so auslegen mussten, dass jeder es selbst ausprobieren möchte. Da hörten wir von Miyamoto-sans Idee mit den kokeshi3. 3Kokeshi sind traditionelle japanische Puppen aus Holz. Sie haben eine zylindrische Form ohne Arme und Beine.

Iwata Asks
Iwata:

Sie meinen die Idee, in einigen Spielen eine kokeshi-Version von sich selbst auftreten zu lassen?

Eguchi:

Ja, Miyamoto-san hatte schon lange darüber gesprochen. Außerdem gab es bereits die Testversion einer Software, in der die Charaktere wie kokeshi dargestellt wurden. Viele Leute, die diese Software ausprobierten, darunter auch Ota-san, fühlten sich, als wären sie das selbst in dem Spiel.

Ota:

Die Charaktere in dieser Version waren sehr schlicht gehalten. Das lag daran, dass wir in unserem Team keinen Designer hatten!

Iwata:

Ah, ich verstehe. Ihr Team bestand ausschließlich aus Programmierern! (Lachen)

Ota:

Genau. Als wir mit diesen einfachen Charakteren spielten, fühlten wir uns, als wären wir selbst mittendrin. Wir haben auch einmal Mario als Charakter eingebaut, aber das fühlte sich nicht mehr an, als würden wir selbst spielen. Es war Mario, der spielte, wir steuerten ihn nur. Bei den einfachen Modellen dagegen hatten wir nicht das Gefühl, als würden die kokeshi spielen, sondern wir selbst. Allerdings schien es uns ein bisschen langweilig, nur schlichte kokeshi zu verwenden. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt entstand dann die Software für den Nintendo DS, mit der man seine eigenen Gesichter zeichnen konnte.

Iwata Asks
Iwata:

Ich habe das schon im Interview zum Mii-Kanal erwähnt, aber nachdem ich diese Software entdeckt und Miyamoto-san gezeigt hatte, hat die Entwicklung einen großen Sprung nach vorne gemacht.

Eguchi:

Ja, auch wenn der Mii-Kanal zunächst kein Bestandteil der Systemfunktionen der Wii-Konsole war. Wir wollten diese Software direkt in Wii Sports einbauen. Doch je mehr wir darüber sprachen, desto mehr kamen wir zu dem Schluss, dass es besser wäre, wenn diese Charaktere irgendwo auf der Wii-Konsole ihren Platz finden würden, anstatt sie auf ein einzelnes Spiel zu beschränken. Und ehe wir uns versahen waren wir dabei, den Mii-Kanal zu planen.

Iwata:

Das war ein glücklicher Zufall, nicht wahr? Wenn wir darüber sprechen, wie das Mii-Konzept sich entwickelte, dürfen wir Mario Artist: Talent Studio nicht vergessen. Yamashita-san, Sie haben an diesem Spiel mitgearbeitet, können Sie uns etwas darüber erzählen?

Yamashita:

Natürlich, Mario Artist: Talent Studio war eine Software, die wir für die N64-Hardwareerweiterung "DD64" entwickelten. Mit der "Mario Artist"-Reihe für das DD64 konnten die User die verschiedensten Dinge tun: Es gab "Paint Studio" zum Bildermalen, "Polygon Studio" zum Erstellen von 3D-Modellen und das besagte "Talent Studio", mit dem man eigene Charaktere schaffen konnte. Ich habe bei Talent Studio mitgearbeitet, und es war... sagen wir... sehr anstrengend!

Alle:

(Lachen)

Yamashita:

Für dieses Programm hatten wir bereits eine Methode entwickelt, Fotos zu importieren. Weil es damals noch keine SD Cards gab, war sie allerdings nicht gerade einfach. Der Spieler musste zuerst Bilder mit der GameBoy Camera aufnehmen und diese dann über ein Zusatzgerät, die Capture Cassette, an das DD64 anschließen. Es war schon schwierig genug, einen Weg zu finden, Bilder zu übertragen, aber das eigentliche Problem lag darin, Verwendungsmöglichkeiten für die Charaktere zu finden, auf deren Erstellung die Spieler so viel Mühe verwenden mussten. Wir probierten z.B. aus, sie in verschiedenen Mini-Spielen einzusetzen, und... Wie heißt nochmal das Spiel, bei dem man auf einem Ball steht und versucht, sich fortzubewegen?

Iwata Asks
Iwata:

Tamanori4? 4Tamanori bedeutet, auf einem Ball zu balancieren.

Yamashita:

Genau, tamanori! Wir versuchten, den Charakter in ein tamanori-Mini-Spiel zu übernehmen. Am Schluss entwickelten wir einen Film-Modus, in dem der Charakter des Spielers auftreten konnte. Es ist uns nicht gelungen, ein Spiel zu entwickeln, in dem der Spieler eigene Charaktere verwenden kann. Ich hatte damals gerade hier angefangen, und es war eine schwierige Zeit für mich. Natürlich gab es auch Teile des Spiels, bei deren Entwicklung ich Spaß hatte... Kurz gesagt, als ich von der Idee mit den persönlichen Charakteren für die Wii-Konsole hörte, hätte mich fast der Schlag getroffen!

Alle:

(Lachen)

Yamashita:

Ich war nur am Anfang beunruhigt, aber als ich mehr darüber erfuhr, wie es in das Konzept von Wii passte, erkannte ich, dass es eine gute Idee war. Als ich vor zehn Jahren an Talent Studio arbeitete, hatten wir das Konzept, die ganze Familie ansprechen zu wollen, noch nicht.

Iwata:

Vor zehn Jahren begannen Sie die Entwicklung mit dem einfachen Gedanken, dass es unterhaltsam wäre, seinen persönlichen Charakter zu erstellen und in ein Spiel zu übertragen.

Yamashita:

Ja, und damals waren wir schon froh, dass wir ein dreidimensionales Bild erstellen und bearbeiten konnten. Ich denke, über die letzten zehn Jahre hat sich die Essenz dieser Idee herauskristallisiert, und nur die wichtigen Teile fanden Eingang in Wii.

Iwata:

Konnten Sie die Erfahrungen, die Sie bei Talent Studio gesammelt haben, irgendwo einbringen?

Yamashita:

Ich denke schon. Der größte Fehler bei Talent Studio war, dass wir zu viele Effekte eingebaut hatten. Wenn man eine Funktion hat, mit der man eigene Charaktere erstellen kann, dann fallen einem viele Dinge ein, die man damit anstellen könnte. Man möchte real aussehende Charaktere, Charaktere im Stile japanischer Manga5 oder amerikanischer Comics etc. Deshalb wirkte das Endprodukt vor zehn Jahren irgendwie unübersichtlich und unfertig, und deswegen habe ich bei Wii Sports jedem eingeschärft, dass wir lieber weniger Ideen einbauen sollten, die dafür sorgfältig durchdacht sind. Dann zeigte mir jemand die bereits erwähnte Software für den DS und ich dachte, "Das ist es! Es ist schon fertig!" 5Manga ist die japanische Bezeichnung für Comics im japanischen Stil.

Alle:

(Lachen)

Iwata:

Man konnte die Charaktere der DS-Software sogar schon verwenden, das hatte eine große Überzeugungskraft, nicht wahr?

Yamashita:

Oh ja, das stimmt.

Iwata:

Die Software lief bereits, und jeder, der einen Blick darauf warf, war überzeugt, dass es das war, wonach wir gesucht hatten. Ohne das wären wir nie so schnell vorangekommen.

Yamashita:

Miyamoto-san hatte schon lange von den kokeshi gesprochen, aber wir kamen bei diesem Konzept einfach nicht vorwärts. Wir wussten nicht, wie wir es den Spielern ermöglichen konnten, eigene Charaktere zu schaffen, und wie viel Spielraum wir ihnen dabei gewähren sollten. Wo wir gerade davon sprechen - nach Talent Studio kam ja noch "Manebito"! (Lachen)

Iwata:

Ach ja, Manebito ging ja in die selbe Richtung. Shimamura-san, daran waren Sie beteiligt, können sie uns ein wenig dazu sagen? (Lachen)

Shimamura:

Oh nein, ich hätte nicht gedacht, dass das Gespräch darauf kommen würde, schließlich wurde diese Software nie veröffentlicht. (Lachen) Sie sollte so etwas wie Talent Studio für den GameCube werden, und wir haben Sie sogar unter dem Namen "Stage Debut" auf Spielemessen vorgestellt. Man sollte ebenfalls eigene Charaktere erschaffen können, aber der Schwerpunkt lag stärker als noch bei Talent Studio darauf, diese Charaktere beliebig ändern zu können. Man sollte die Wahl zwischen hunderten verschiedener Kleidungsstücke und Accessoires haben, was den Spielern ermöglicht hätte, unglaublich detailreiche Charaktere zu kreieren. Stage Debut wurde schlussendlich doch nicht veröffentlicht, aber die größte Schwierigkeit war, naja, was macht man mit den Charakteren nach ihrer Erschaffung?

Iwata Asks
Alle:

(Lachen)

Shimamura:

Ja, nachdem man einen Charakter erstellt hatte, der einem ähnlich ist, war Schluss. Wenn wir die Leute fragten, was sie davon hielten, hieß es immer "Und was mache ich jetzt damit?"

Iwata:

Sie sind in die gleiche Falle wie bei Talent Studio getreten. (Lachen)

Shimamura:

Deswegen hätte auch mich fast der Schlag getroffen, als ich hörte, dass man für Wii Sports seine eigenen Charaktere erschaffen können sollte.

Alle:

(Lachen)

Iwata:

In anderen Worten, es gelang Ihnen nicht, die vielen Möglichkeiten, mit persönlichen Charakteren zu spielen, einzugrenzen, und so verstrich die Zeit, während Sie nach einer Lösung suchten.

Shimamura:

Ja, uns war klar, dass auch mit hunderten von Mini-Spielen die Leute irgendwann keine Lust mehr auf sie hätten und ihre persönlichen Charaktere nicht mehr verwenden würden. Dieses Problem wurde mit Wii Sports gelöst, indem wir den Charakteren damit sozusagen einen geeigneten Platz gegeben haben. Durch seinen eigenen Charakter auf dem Bildschirm kann man sich wie ein Tennis-Profi fühlen. Mir war vorher gar nicht klar, wie viel Spaß es macht, sich selbst in einem "richtigen" Spiel zu sehen, anstatt in einem oberflächlichen Mini-Spiel. Einfach ausgedrückt, man ist vom Gefühl her stärker in das Spiel mit eingebunden.

Iwata:

Schon mit den einfachen kokeshi konnte man sich sehr gut identifizieren. Ich habe Sie das schon vorher gefragt, hatten Sie nicht das Gefühl, die doch weit von der Realität entfernten kokeshi seien etwas zu simpel gehalten?

Eguchi:

Gab es überhaupt jemanden, der sie realistischer gestalten wollte? Niemand, oder?

Ota:

Ich wollte eigentlich, dass wir die kokeshi beibehalten. Es machte mich ziemlich nervös, als wir probehalber Mario in das Spiel eingebaut haben. Wären die kokeshi weggefallen, hätte ich nicht gewusst, was ich tun sollte! (Lachen)

Yamashita:

Die kokeshi sind zwar einfach aufgebaut, aber dank der eigenen Vorstellungskraft werden sie realistischer. Auch wenn bei Wii Sports Baseball die Arme und Beine der Fänger nicht dargestellt werden, wenn sie sich bewegen, wirkt ihre Bewegung doch realistisch.

Shimamura:

Ich denke, es liegt in gewisser Weise daran, dass die Grundcharaktere so einfach aufgebaut sind, dass sie so gut in das Konzept der Erschaffung persönlicher Charaktere passen. Da sie "super deformed"6 sind, muss man nur die Augen und Augenbrauen ein bisschen auseinander bewegen, und schon hat man Yamashita-san! (Lachen) 6Super deformed ist der japanische Zeichenstil für Karikaturen, bei dem Charaktere unrealistische oder überzeichnete körperliche Merkmale aufweisen, beispielsweise kleine Körper und übergroße Köpfe. Dieser Zeichenstil wird häufig in Manga verwendet.

Eguchi:

Es macht Spaß, Charaktere, die aussehen wie Leute, die man kennt, Tennis oder Baseball wie die Profis spielen zu sehen.

Shimamura:

Ja, normalerweise baut man die Leute in seiner Umgebung nach, nicht wahr? Ich denke, das macht am meisten Spaß.

Yamashita:

Neulich hatten wir eine Familie eingeladen, um sie Wii Sports ausprobieren zu lassen. Wir hatten vorher Miis für jedes Familienmitglied erstellt, und sie gefielen ihnen sehr gut. Als die Großmutter beim Baseball den Ball wirklich gut gefangen hat, waren alle so aufgeregt! Alle sagten, "Gut gemacht, Oma!" Davor hatte ich mich noch gefragt, ob so etwas geschehen könnte. Ihre Reaktionen haben meine Erwartungen bei Weitem übertroffen.

Iwata Asks