1. Den Controller grundsätzlich überdenken

Iwata:

Nun möchte ich ein paar Fragen zum Controller der Wii-Konsole stellen, den viele wahrscheinlich als markantestes Merkmal von Wii bezeichnen würden. Takeda-san, Sie waren ja für die Entwicklung der Wii-Konsole verantwortlich. Was war Ihr Ansatz bei der Entwicklung des Controllers?

Takeda:

Die Existenz des Nintendo DS hatte einen großen Einfluss auf unsere Überlegungen. Als wir anfingen, den Controller der Wii-Konsole zu entwickeln, stand das Konzept des Nintendo DS bereits fest, und in der Phase, als wir über die einzelnen Eigenschaften des Controllers zu entscheiden hatten, war der Nintendo DS bereits von vielen Menschen positiv aufgenommen worden. Es ging also für uns bei der Entwicklung des Controllers darum, wie wir auf dem Weg, den wir mit dem DS eingeschlagen hatten, weiter voranschreiten können. Viele vermuteten damals, dass der Controller einen Touchscreen erhalten würde. Diese Möglichkeit haben wir natürlich ebenso geprüft wie auch andere Computereingabegeräte mit Zeigefunktion, wie etwa Maus oder Touchpad. Den Nintendo DS konnte man spontan begreifen, weil man den Bildschirm direkt berührt, und das macht auch einen großen Teil der Faszination aus. Für uns war es daher sehr schwierig zu entscheiden, welche Art von Interface wir als Nächstes herausbringen wollen.

Iwata:

Takeda-san, Sie haben eigens für den Controller der Wii-Konsole ein Team innerhalb der Firma gegründet. Aber schon vorher hatten Sie firmenintern kleine Teams geschaffen, die sich mit dem Interface befassen sollten. Können Sie uns erklären, wie es dazu gekommen ist?

Takeda:

Gern. Wenn man Spielkonsolen entwickelt, stellt das Interface zwischen Mensch und Maschine einen ganz zentralen, unverzichtbaren Aspekt dar. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Jahren mehr als zehn Teams mit jeweils ungefähr drei Personen ins Leben gerufen, deren konkrete Aufgabe es war, sich Controller und anderes Zubehör auszudenken, die speziell für ein bestimmtes Nintendo GameCube-Spiel entwickelt und in Kombination mit diesem Spiel verkauft werden sollten. Daraus sind dann Produkte wie etwa die DK-Bongos für Donkey Konga oder das Action Pad für Dancing Stage Mario Mix entstanden, aber einige Pläne und Ideen sind auch in den Controller für die Wii-Konsole eingeflossen.

Iwata:

Für das Action Pad waren Sie ja direkt zuständig, Ikeda-san. Sie haben auch vorher schon an verschiedenen Zubehör-Produkten mitgearbeitet. Erzählen Sie uns doch einmal etwas über Ihre bisherige Arbeit und die Rolle, die Sie im Wii-Projekt gespielt haben.

Ikeda:

Also, zu meinen ersten Projekten, für die ich die Entwürfe gemacht habe, gehörten Pokémon Pikachu und Hello Kitty Pocket, zwei mobile Spielgeräte mit Schrittzähler, und Kirby's Tilt 'n' Tumble, ein Videospiel, bei dem ein Beschleunigungssensor zum Einsatz kommt. Auch danach habe ich an verschiedenen Projekten mitgewirkt, bei denen es um das Interface ging. Beim Wii-Projekt war ich unter anderem für die elektrotechnischen Entwürfe der Sensoren zuständig, die im Controller zum Einsatz kommen.

Iwata:

Sie beschäftigen sich also schon lange mit dem UI (User Interface). Erläutern Sie uns bitte Ihre Sichtweise zum Thema UI, das ja den Controller mit einschließt.

Ikeda:

Ich denke, dass wir den Controller, weil der Spieler direkt mit ihm in Berührung kommt, nicht als Teil der Spielkonsole sondern vielmehr als etwas betrachten sollten, das zu einem Teil des Körpers des Spielers wird. Die Konsumenten kommen wesentlich häufiger mit dem Controller und den anderen Aspekten des UI in Berührung als mit der Konsole selbst. Deshalb berücksichtige ich stets die besondere Bedeutung des UI.

Iwata:

Welche Schlagworte hatten Sie im Kopf, als Sie mit der Entwicklung des Controllers für die Wii-Konsole begonnen haben?

Ikeda:

Zunächst einmal ganz sicherlich das Wort "einfach". Und das Wort "komfortabel". Ganz entsprechend dem Gesamtkonzept von Wii: etwas, das jeder gern in die Hand nimmt, das niemand argwöhnisch betrachtet. Es sollte ein Controller werden, bei dem man unwillkürlich das Bedürfnis hat, ihn in die Hand zu nehmen.

Iwata:

Takeda-san hat den Einfluss des Nintendo DS erwähnt. Hat der Nintendo DS Ihrer Meinung nach auch den Controller beeinflusst, Ikeda-san?

Ikeda:

Ja, das hat er. Ich persönlich war ziemlich überrascht, als meine eigenen Eltern plötzlich Interesse am Nintendo DS zeigten und sagten: "Das würde ich gerne mal ausprobieren". Sie sagten mir: "Mit einem Stift müsste ich auch umgehen können", nachdem sie den DS in Anzeigen und im Fernsehen gesehen hatten. Mir ist dabei klar geworden, wie extrem wichtig es ist, dass die Spielkonsole für jedermann leicht zugänglich ist.

Iwata Asks
Iwata:

Ashida-san, Sie waren nicht nur für das Design der Wii-Konsole, sondern auch für das des Controllers verantwortlich. Ihre Erfahrung im Bereich des Designs von Controllern reicht ja schon lange zurück...

Ashida:

Ja, ich habe seit der Zeit des SNES damit zu tun.

Iwata:

Ich habe den Eindruck, dass neue Controller bei Nintendo immer nur allmählich über einen ausgedehnten Zeitraum Gestalt annehmen, während Sie immer wieder Styroporblöcke schnitzen, Ton kneten und mit Miyamoto-san zusammen hin- und herüberlegen.

Ashida:

Genau so ist es. (Lachen)

Miyamoto:

(Lachen)

Iwata:

Ashida-san, was bedeutet es für Sie, einen Controller zu entwickeln? Wie unterscheidet sich das allgemeine ID (Industriedesign) vom ID einer Spiele-Hardware wie zum Beispiel das eines Controllers?

Ashida:

Das Design von Spiele-Hardware ist sehr stark von den Anwendungen, die tatsächlich zum Einsatz kommen, also von der Software, abhängig. Ich selbst beschäftige mich seit meiner Zeit an der Universität mit ID, aber einen so engen Zusammenhang zwischen ID und der Software hatte ich noch nicht erlebt, bevor ich bei Nintendo angefangen habe. Besonders beim Design des Controllers muss man sehr darauf achten, auf welche Art und Weise er beim Spielen der Software verwendet wird. Beim Wii-Projekt hat uns das einiges an Kopfzerbrechen bereitet, da wir nicht genau wussten, wie die Software aussehen würde.

Iwata:

Kommen wir zu Ihnen, Herr Miyamoto. Sie sind inzwischen als Spiele-Designer weltweit anerkannt, aber an der Universität haben auch Sie ID studiert, nicht wahr? Inwiefern ist dieses Studium jetzt beim Design von Spielkonsolen und Controllern für Sie von Nutzen?

Miyamoto:

Von Nutzen...? Nun, von Nutzen war es insofern, als dass ich dadurch in der Hierarchie über den ID-Leuten stand, die nach mir als Studienabgänger bei Nintendo angefangen haben. Ich denke, das ist der größte Nutzen, den ich daraus gezogen habe.

Alle:

(Lachen)

Miyamoto:

Dadurch ist eine gewisse Hierarchie oder ein gewisses Kräfteverhältnis entstanden. Das macht sehr viel aus. Und ist äußerst nützlich. (Lachen) ...Nun, lassen wir das mal beiseite. Ich spreche mich schon seit längerem dafür aus, dass die Firma Leute als Entwickler einstellt, die ID gelernt haben. Leute mit ID-Erfahrung haben nämlich nicht nur am Bildschirm gearbeitet, sondern reale Gegenstände hergestellt. Das bedeutet, dass diese Menschen ihre kreativen Fähigkeiten entwickelt haben. Deshalb kann ich sie nur empfehlen. Und: Es macht nichts, wenn man ihnen dann eine ganz andere Arbeit zuweist. (Lachen) Ich habe ja auch ID studiert und dann nicht als Designer gearbeitet.

Iwata Asks
Alle:

(Lachen)

Miyamoto:

Dazu muss man sagen, dass gerade die ID-Absolventen diejenigen sind, die dann sagen: "Ich bin zu Nintendo gekommen, weil mich ID interessiert. Ich möchte nichts anderes machen!". (Lachen) Ashida-san hatte das besondere Glück, dass er als einer der Wenigen im ID-Bereich arbeiten durfte.

Ashida:

(Lachen)

Miyamoto:

Auf jeden Fall kennen Ashida-san und ich uns jetzt schon sehr lange. Seit der Zeit des SNES arbeiten wir eng zusammen, und ich versuche dabei immer wieder, ihn zu überzeugen oder zu beschwichtigen.

Iwata:

Gibt es einen Unterschied in der Art und Weise, wie Sie den Controller der Wii-Konsole entwickelt haben, wenn man das mit anderen Controllern der Vergangenheit vergleicht?

Miyamoto:

Damals in der Zeit des SNES habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, welches Design zur Firma Nintendo passen würde. Wir sind kein Spielzeughersteller, aber auch kein Hersteller von Haushaltselektronik. Was ist also "Nintendo-Design"? Dieses Thema beschäftigt uns immer wieder, seit wir die Modelle für das Nintendo 64 aus Ton geformt haben. Bei Wii ging es jedoch nicht mehr darum, wie ein Interface für Spiele auszusehen hat. Vielmehr mussten wir die Hürde überwinden, wie wir Spieler und Spielentwickler, die sich bereits an das herkömmliche Interface gewöhnt hatten, von unserem neuen Konzept überzeugen können. Das war eine sehr hohe Hürde. Um es etwas drastisch auszudrücken: Ich habe mich mit den ID-Leuten zusammengetan, um einen Kampf gegen all die Leute zu führen, die den jetzigen Markt geschaffen haben, oder sie herauszufordern. Es war in gewisser Weise ein Kampf. Es ging uns natürlich nicht darum, uns jemanden zum Feind zu machen, aber wenn man etwas Neues anfängt, neigen die Menschen, die sich bereits an das Althergebrachte gewöhnt haben, zu konservativem Denken. In diesem Sinne waren Ashida-san und ich sowie all die anderen Leute, die am Controller-Design mitgearbeitet haben, besonders diesmal so etwas wie "Kameraden im Kampf".

Iwata Asks
Ashida:

(Lachen)

Miyamoto:

Es ist so: Software-Leute äußern viele Wünsche, während die Designer eher die beschränkten Möglichkeiten sehen. Und am Ende kann man auch die Kostenseite nicht ignorieren. Ich selbst habe stets viele Wünsche geäußert und weiß aus eigener Erfahrung, wie viel Überzeugungskraft und Herausforderungswille mit der Entwicklung der bisherigen Hardware verbunden war. Doch beim Wii-Projekt konnten wir die Debatte darüber, ob Hardware oder Software wichtiger ist, endlich überwinden. Ich denke, dass Nintendo hier der Schritt in eine neue Dimension gelungen ist.

Iwata:

In die Entwicklung dieses Controllers sind zweifelsohne unglaublich viele Gedanken und Bemühungen geflossen. Ich weiß, dass in der Geschichte von Nintendo traditionell sehr viel Wert auf die Controller gelegt wurde, aber diesmal ging es noch weiter.

Ashida:

Es ist nicht zu vergleichen. Schließlich ging es bei unseren bisherigen Controllern für NES, SNES, Nintendo 64 und GameCube darum, weitere Funktionen hinzuzufügen. Es wurden also neue Funktionselemente hinzugefügt und in das Design integriert. Beim Controller für die Wii-Konsole haben wir jedoch nicht nur addiert, sondern auch subtrahiert, und sogar multipliziert und dividiert. Die Art und Weise, wie wir den Controller entwickelt haben, ist meiner Meinung nach grundsätzlich anders. Miyamoto-san hat uns gerade als "Kameraden" bezeichnet. Aber wir haben so viele Wünsche und Vorschläge von den verschiedensten Spielentwicklern unterschiedlicher Genres mitgeteilt bekommen, dass der ganze Prozess, diese Ideen zu durchforsten und darauf zu reagieren, sehr zeitaufwändig war. Ich bin mir sicher, dass wir noch nie so viel Input hatten wie diesmal.

Iwata:

Sie haben sehr viele Modelle gebaut, nicht wahr?

Ashida:

So viele, dass ich sie am liebsten alle vorzeigen möchte! (Lachen) Es waren wirklich unglaublich viele.

Iwata:

Was war der Wendepunkt in diesem Prozess?

Ashida:

Ich denke, der Wendepunkt wurde erreicht, als das Gesamtkonzept von Wii konkrete Formen angenommen hatte. Mein persönliches Gefühl war, dass der Controller des GameCube die Kulmination aller vorangegangenen Controller war und es nicht möglich sein würde, ihn durch das bloße Hinzufügen neuer Funktionen weiter zu verbessern. Ich hatte vor allem das Gefühl, dass der Controller und ich nicht kompatibel sind. Ich habe inzwischen Familie und finde kaum noch die Zeit dafür, mich vollkommen in ein schwieriges Spiel zu vertiefen. Es ist eine Lücke zwischen dem "Designer-Ich" und dem "Spieler-Ich" entstanden. Als ich dann begann, das Wii-Konzept zu verstehen, wurde mir klar, dass dies eine Konsole werden würde, die auch mir viel Freude bereiten kann. Um es genauer zu sagen, hatte ich das Gefühl, dass es an der Zeit ist, die Vorstellung von dem Spieler, der mit dem Controller fest in beiden Händen bis in die frühen Morgenstunden vor dem Fernseher sitzt, grundsätzlich zu überdenken. Ich lehne diese intensive Art zu Spielen natürlich nicht ab. Aber ich spürte, dass das Über-Bord-Werfen der beidhändigen Controller-Handhabung Raum für etwas Zukunftsweisendes eröffnete.

Iwata Asks
Miyamoto:

Ich muss zugeben, dass ich mich noch daran erinnere, wie ich vor zehn Jahren gesagt habe, dass die Leute, die Mario mit einer Hand spielen wollen, es genauso gut ganz sein lassen können!

Alle:

(Lachen)

Miyamoto:

Selbst damals gab es Leute, die die Spiele mit einer Hand steuern wollten. Wir hatten durchaus Verständnis dafür. Aber damals haben wir gesagt: "Leute, das könnt ihr vergessen!" (Lachen)

Takeda:

Das haben Sie auch oft hier im Büro gesagt, nicht wahr? (Lachen) Damals waren wir alle der Überzeugung, dass man den linken Daumen niemals vom Steuerkreuz nehmen sollte.

Iwata:

Und trotzdem bringen wir jetzt einen solchen Controller auf den Markt. Ich möchte gern einmal zurückblicken und festhalten, wieso wir in der Lage waren, eine solch drastische Kehrtwendung zu vollziehen. Natürlich haben auch andere Firmen schon über einen Controller nachgedacht, den man einhändig bedienen kann. Auf jeden Fall wurden solche Produkte schon von Zubehörherstellern auf den Markt gebracht. Aber es ist für einen Hersteller von Hardware gar nicht leicht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und in eine ganz andere Richtung loszupreschen. Warum waren wir dazu in der Lage? Was denken Sie?

Iwata Asks
Ashida:

…Liegt es nicht daran, dass wir Nintendo angehören?

Iwata:

Das ist keine Antwort! (Lachen)

Alle:

(Lachen)

Takeda:

Um Ashida-sans Aussage in andere Worte zu fassen: Nintendo ist eine Firma, in der man dafür gelobt wird, wenn man etwas anders macht als alle anderen. Wenn ein Einzelner bei Nintendo etwas ganz anders macht, erhält er von vielen Seiten Unterstützung und Hilfe, alle Hürden zu überwinden. Ich denke, dass wir deshalb der Herausforderung von Wii gewachsen waren.

Iwata:

Das ist richtig. Der einhändig zu bedienende Controller der Wii-Konsole ist nicht etwa die großartige Idee einer einzelnen Person, sondern das wunderbare Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Menschen mit unterschiedlichen Ideen. Zurückblickend denke ich, dass es so kommen musste, auch wenn niemand die Abfolge der Ereignisse hätte vorausahnen können.