1. Mario konnte zu Beginn nicht springen

Iwata:

In diesem Interview sprechen wir über "New Super Mario Bros. Wii". Wir wollen aber nicht gleich mit dem neuen Titel loslegen und vielmehr über die Anfänge von Mario sprechen. Es wird natürlich jede Menge Leser geben, die diese bereits ausführlich kennen, aber es gibt sicher auch viele, die nicht wissen, wie Mario entstanden ist.

Miyamoto:

Da haben Sie Recht.

Iwata:

Warum beginnen wir nicht damit, wie Marios erstes Konzept aussah, als er noch als "Jumpman" bekannt war?

Miyamoto:

Sicher doch. Das wurde ich bereits in unzähligen Interviews gefragt, also mache ich es kurz und schmerzlos! (lacht) In der Pac-Man1-Ära gab es eine Reihe von Spielen, die damals in Spielhallen beliebt waren. Nintendo brachte Titel wie Sheriff 2 heraus, doch keiner dieser Titel erreichte eine Beliebtheit, bei der man von einem Hit sprechen könnte.1 Pac-Man war ein Arcade-Spiel, das 1980 von Namco (jetzt Namco Bandai Games Inc.) veröffentlich wurde. Es war ein riesiger Hit auf der ganzen Welt und erschien später auf dem Nintendo Entertainment System. 2 Sheriff war ein Action-Spiel aus dem Jahr 1979, bei dem der Held 16 Gesetzeslose bekämpfen musste. Es erschien auch als Minispiel in "WarioWare, Inc.: Minigame Mania" für den Game Boy Advance.

Iwata:

Das war noch, bevor Nintendo das Nintendo Entertainment System auf den Markt gebracht hat. Die Firma hat zwar einige Arcade-Geräte entwickelt, aber wir konnten keinen großen Hit landen.

Miyamoto:

Das ist richtig. Zu dieser Zeit sagte uns der damalige Präsident von Nintendo, Mr. Yamauchi: "Entwickeln Sie Spiele, die sich besser verkaufen!"

Iwata:

"Entwickeln Sie Spiele, die sich besser verkaufen!" Und was für eine Aufgabe er Ihnen gestellt hat! (lacht)

Miyamoto:

Das können Sie laut sagen! (lacht) Wir haben uns entschieden, nachzuforschen, was die Spielehits so populär gemacht hat. Nun ja, wenn ich von "nachforschen" spreche, dann meine ich eigentlich nur, wir haben diese Spiele gespielt! (lacht)

Iwata:

Ein wahnsinniges Opfer, das Sie da im Namen der Forschung gebracht haben! (lacht)

Iwata Asks
Miyamoto:

Wie Sie sich sicher vorstellen können, bin ich ein großer Fan von Spielen. Doch das ist noch nicht alles: Heute arbeiten viele Personen bei Nintendo, die hervorragende Spieler sind, aber damals, da war ich der beste in der Firma.

Iwata:

Die Leute haben sich bestimmt um Sie herum versammelt und Sie beim Spielen in der Arcade-Halle bewundert, nicht wahr?

Miyamoto:

Es hat sich immer plötzlich eine Menschenmenge um mich herum gebildet!

Iwata:

Wissen Sie, es gab mal eine Zeit, da haben sich die Leute auch um mich herum versammelt!

Miyamoto:

Damals haben Punktefresser3 dominiert, allen voran Pac-Man...3 Spiele, bei denen Spieler Gegnern in einem Labyrinth ausweichen, während sie über Punkte manövrieren, um ihren Highscore zu erhöhen.

Iwata:

Ja, damals gab es in den Arcade-Hallen mehrere verschiedene Spiele, bei denen man Punkte essen musste.

Miyamoto:

Genau. Etwa zu derselben Zeit sah man aber auch das Aufkommen der scrollenden Spiele, Side-Scroller, bei denen die Figur seitlich läuft. Da ich ursprünglich industrieller Designer bin, habe ich die Spiele analysiert, während ich sie getestet habe. Ich wollte herausfinden, was an der Zusammensetzung der Spiele sie so unterhaltsam machte.

Iwata:

Sie wollten also herausfinden, was Spieler dazu brachte, 100 Yen-Münzen in einen Automaten einzuwerfen, um es noch mal zu versuchen?

Miyamoto:

Genau. Ich bin grundsätzlich zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die Spieler eigentlich sauer auf sich selbst sind. Anschließend habe ich also analysiert, was dieses Gefühl in den Spielern hervorgerufen hat. Als ich über diese Dinge nachgegrübelt habe, kam einer meiner älteren Kollegen, Gunpei Yokoi4, auf mich zu und war so nett, mir viele Dinge zu erklären. Ich will jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen und Feinheiten des Spieldesigns ausbreiten, also überspringe ich diesen Teil. Wie dem auch sei, bis zum damaligen Zeitpunkt habe ich als Grafik- und Verpackungsdesigner für Spiele gearbeitet, die von anderen entwickelt wurden...4 Gunpei Yokoi (1941-1997) arbeitete bei Nintendo, hauptsächlich als Entwickler von Produkten wie beispielsweise Game & Watch, dem portablen System Game Boy, dem NES-Roboter, dem Robotic Operating Buddy (R.O.B.) und Dr. Mario.

Iwata:

Sie haben Pixelbilder gezeichnet und Bilder erstellt, die in Arcade-Automaten zum Einsatz kamen...

Miyamoto:

Ich habe an Arcade-Spielen gearbeitet, aber die Ideen, die ich vorgeschlagen habe, wurden nicht wirklich umgesetzt... Dann hatte ich jedoch das Glück, dass man mir die Entwicklung eines kompletten Softwaretitels anvertraut hat...

Iwata:

Das war also der große Wendepunkt in Ihrer Karriere?

Miyamoto:

Richtig. Zu diesem Zeitpunkt, nachdem ich den Ansporn analysiert habe, der Spieler immer wieder zum Spielen bringt, habe ich grobe Ideen für fünf Spiele aufs Papier gebracht. Nintendo hatte damals die Lizenz für Popeye5.5 Popeye ist eine beliebte Zeichentrickfigur aus den USA. Andere unvergessliche Figuren der Serie sind Olive Oyl und Bluto.

Iwata:

Ja, wir haben Popeye-Spielkarten und Game & Watch-Titel mit Popeye herausgebracht.

Miyamoto:

Deshalb wurde ich zunächst gefragt, ob ich nicht ein Spiel mit Popeye als Figur machen könnte. Das grundlegende Konzept von Popeye lautet: Da ist ein Held, da sein Widersacher. Der Held schafft es, mit Hilfe von Spinat den Spieß umzudrehen.

Iwata:

Wenn Sie das so darstellen, klingt es wie Pac-Man, nicht wahr? (lacht)

Miyamoto:

Ja, es ist mit Pac-Man geradezu identisch! (lacht) Also habe ich ein paar Ideen für Popeye-Spiele aufgeschrieben. Mr. Yokoi war dann so nett und hat die Ideen dem Präsidenten vorgetragen. Schließlich haben wir für eine dieser Ideen grünes Licht bekommen. Mr. Yokoi war seiner Zeit voraus, er hat gemeint, Designer würden in Zukunft aus der Entwicklung von Spielen nicht mehr wegzudenken sein. Und so kam es überhaupt zu

Video: Donkey Kong

In diesem Interview sprechen wir über "New Super Mario Bros. Wii". Wir wollen aber nicht gleich mit dem neuen Titel loslegen und vielmehr über die Anfänge von Mario sprechen.
Donkey Kong 6.6 Donkey Kong war Shigeru Miyamotos Debüt als Spieldesigner. Es erschien 1981 in Arcade-Hallen und wurde 1983 für das Nintendo Entertainment System umgesetzt.

Iwata Asks
Iwata:

Ursprünglich sollte es aber ein Popeye-Spiel werden.

Miyamoto:

Das stimmt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum, aber wir konnten Popeye in diesem Titel nicht verwenden. Es hat sich angefühlt, als ob man mich von der Leiter gestoßen hätte.

Iwata:

Obwohl Sie also an einem Spiel gearbeitet haben, bei denen es ums Klettern auf Leitern ging, hat man Sie von der Leiter gestoßen, noch bevor Sie richtig anfangen konnten! (lacht)

Miyamoto:

Eine witzige Bemerkung, Sie haben sich großen Beifall verdient! (lacht) Aber, wie dem auch sei, wir wussten zum damaligen Zeitpunkt nicht, wie wir fortfahren sollten. Dann kam uns der Gedanke: "Warum denken wir uns nicht eine eigene Figur aus?"

Iwata:

Also wurden Donkey Kong und Mario überhaupt erst geboren, weil man Sie, wie Sie es ausgedrückt haben, von der Leiter gestoßen hat.

Miyamoto:

Richtig.

Iwata:

Mr. Miyamoto, Sie führen ein wirklich fantastisches Leben!

Miyamoto:

Da hatten wir wirklich Glück! Als Nächstes haben wir damit begonnen, an der Idee für ein Spiel zu arbeiten, das auf meinem Konzept basierte. Ein unterhaltsames Spiel sollte immer leicht zu verstehen sein – es sollte nur ein Blick genügen und man weiß sofort, was man darin tun muss. Es sollte so gut konzipiert sein, dass man auf den ersten Blick das Ziel erkennt und selbst wenn man es nicht erreicht, es sich selbst zuschreibt, nicht dem Spiel. Außerdem müssen die Leute, die um den Spieler herum stehen und ihm zusehen, ebenfalls Spaß daran haben. Diese Art von Problemen habe ich mit Mr. Yokoi besprochen.

Iwata:

Sie haben also analysiert, was Spiele unterhaltsam macht.

Miyamoto:

Ja, das haben wir getan. Bauen wir zum Beispiel eine Aktion im Spiel ein, die der Spieler relativ einfach durchführen kann. Dann fügen wir eine weitere einfache Aktion hinzu. Beide Aktionen mögen für sich einfach sein, sie aber zur selben Zeit durchzuführen, ist schon etwas schwieriger.

Iwata:

Zwei einzelne Aktionen mögen also einfach sein, wenn man sie aber gleichzeitig durchführen soll, wird es schwieriger. Und genau, weil man denkt, es müsse doch einfach sein, wirft man es sich selbst vor, wenn man eine Passage nicht geschafft hat, stimmt's?

Miyamoto:

Stimmt genau. Bauen wir beispielsweise eine Reihe von unebenen, sich überlappenden Hängen...

Iwata:

Bei denen man auf Leitern klettern, springen muss usw.

Iwata Asks
Miyamoto:

Man möchte also sicher das Ziel erreichen, indem man Abkürzungen nimmt, während man ständig den Weg der Fässer berechnen muss, die auf einen zurollen. Es ist einfach, immer höher zu klettern. Es ist auch einfach, den rollenden Fässern auszuweichen. Doch will man die zwei Dinge gleichzeitig bewerkstelligen, ist die Herausforderung viel größer. Das ist aber noch nicht alles: Man überlegt sich gleichzeitig, welcher der kürzeste Weg zum Ziel ist, also wird es noch schwieriger. Wir waren der Meinung, dass wir mit diesem Konzept gut arbeiten könnten. Erst als wir versucht haben, den Bildschirm scrollen zu lassen, sagte man uns: "Die Platte scrollt aber nicht!" (lacht)

Iwata:

Mit der "Platte", die Sie gerade erwähnen, meinen Sie die Schalterplatte, die Elektronik, die sich in einem Arcade-Automaten befindet. Zur damaligen Zeit war alles, sagen wir mal, individueller. Jeder Automat besaß, abhängig von seinem Hardware-Typ, unterschiedliche Einschränkungen. Als Sie an "Donkey Kong" gearbeitet haben, sollte der Automat über eine Leiterplatte verfügen, mit der Scrollen nicht möglich war.

Miyamoto:

Da wir wollten, dass das Spiel auf vier miteinander verbundenen Bildschirmen gespielt wird, haben wir das einfach "scrollen" genannt. (lacht)

Iwata:

"Donkey Kong" wird also deshalb auf vier Bildschirmen gespielt, weil Sie Scroll-Elemente in das Spiel einbauen wollten?

Miyamoto:

Ja, so ist es. Der technische Supervisor von damals hat uns gefragt, was mit uns denn nicht stimmt: "Ein Bildschirm reicht für ein normales Spiel völlig aus! Sie bauen aber vier Bildschirme ein! Da können Sie uns gleich bitten, vier verschiedene Spiele zu produzieren!"

Iwata:

Sie haben sich aber nicht beirren lassen.

Miyamoto:

Genau. Ich erinnere mich auch noch, dass der Automat, den wir für das Spiel konzipiert haben, einen Joystick und einen Knopf hatte. Wir wollten ursprünglich aber, dass es nur mit dem Joystick gesteuert wird.

Iwata:

Wollen Sie uns damit sagen, hätte der Automat nicht zufällig über einen Knopf verfügt, wäre Mario nicht in der Lage zu springen? Man kann sich Mario ohne Springen überhaupt nicht vorstellen! (lacht)

Miyamoto:

Ja, es hätte durchaus so kommen können. Ursprünglich war es ein Spiel, bei dem man aus einem Labyrinth entkommen musste. Dem Spieler Sprünge zu erlauben und Gefahren zu vermeiden, hätte das strategische Element des Spiels durcheinander gebracht. Wir dachten dann aber: "Wenn ein Fass auf uns zukommt, was würden wir da tun?"

Iwata:

Drüberspringen natürlich! (lacht)

Miyamoto:

Natürlich würden wir drüberspringen! (lacht) Wir haben uns also entschieden, den Knopf dazu zu verwenden, den Spieler springen zu lassen. Als wir den Prototyp fertig hatten und das Spiel ausprobiert haben, hat alles ziemlich gut gepasst. Ich glaube, hätten wir Mario die Sprungfähigkeit nicht geschenkt, wäre es ein unheimlich schweres Spiel gewesen.

Iwata:

Man müsste sich dann auf das Ausweichen vor den Fässern und das Klettern im Labyrinth konzentrieren. Das würde sehr viel Mut und Entschlossenheit erfordern.

Miyamoto:

Hätten wir außerdem das Spiel so entwickelt, dass man springen würde, wenn man den Joystick nach oben drückt, wäre der Begriff "Sprungknopf" wohl niemals entstanden! Im zweiten Level gibt es vertikale bewegliche Plattformen und wir wussten zunächst nicht, wie der Spieler sie erreichen sollte. Wenn Mario aber springt...

Iwata:

Ist es ein Kinderspiel, auf sie zu springen und sie wieder zu verlassen! (lacht)

Miyamoto:

Zu dem Zeitpunkt ist die Entscheidung endgültig gefallen: Mario sollte springen! Es hat sich als die beste Lösung herausgestellt.

Iwata:

Indem Sie Mario die Sprungfähigkeit geschenkt haben, waren Sie in der Lage, mehrere Probleme auf einmal zu lösen.

Miyamoto:

Außerdem konnten wir den übrigen Knopf nützlich einsetzen! (lacht) Das ist die ganze Geschichte, wie es dazu kam, dass Mario springen kann.