3. Squares Absichten

Iwata:

Als Sie damals anfingen, als Direktor zu arbeiten, Mr. Nomura, wie haben Sie da Ihren eigenen Stil als Direktor festgelegt?

Nomura:

Die ersten Direktoren, mit denen ich zusammengearbeitet habe, waren Mr. Sakaguchi und Mr. Kitase10. Ich denke, diese beiden haben mich sehr geprägt. Im Hinblick auf die Kampfplanung wurde ich stark von (Hiroyuki) Ito11, dem Direktor von FFIX12, geprägt. Weiterhin hat mich (Tetsuya) Takahashi-san14 von Monolith13 beeinflusst. Er war bei Square für die Grafik zuständig und hat mich zu Beginn meiner Laufbahn betreut. Ich sehe diese vier sozusagen als meine „Mentoren“ an. 10Yoshinori Kitase ist einer der Produzenten der ersten Produktionsabteilung von Square Enix. Er hat bei einer Vielzahl von Projekten mitgewirkt, die auf die Square-Ära zurückgehen, darunter auch Final Fantasy VII. 11Hiroyuki Ito ist ein Spiele-Entwickler von Square Enix. Er war an der Entwicklung vieler Titel beteiligt und fungierte bei FFIX und FFXII als Direktor. 12FFIX bezieht sich auf Final Fantasy IX, das neunte Spiel der Serie, das (in Japan) im Juli 2000 veröffentlicht wurde. 13Monolith bezieht sich auf Monolith Soft, Inc., einen Spielentwickler mit Sitz in Meguro, Tokio. 14Tetsuya Takahashi ist ein Spielentwickler, der für Square arbeitete. Er verließ die Firma 1999 und gründete Monolith.

Iwata:

Also sogen Sie förmlich alles in sich auf, was Sie von diesen vier „Mentoren“ bekommen konnten, bevor Sie selbst die Rolle des Direktors einnahmen?

Nomura:

Nicht so ganz. Ich glaube, das Einzige, was ich wirklich verinnerlicht habe, war meine Denkweise über kreative Projekte. Als ich Direktor wurde, dachte ich, ich würde niemals wie diese Jungs werden können. Mir hat die Zusammenarbeit mit ihnen wirklich viel Spaß gemacht. Daher hatte ich nur eine vage Hoffnung, Bedingungen schaffen zu können, unter denen jeder Spaß an der Arbeit hätte.

Iwata:

Meiner persönlichen Meinung nach besteht die Hauptfunktion eines Direktors darin, seinem Team die Ziele vorzugeben und die Vorzüge, die mit ihrem Erreichen verbunden sind, zu verdeutlichen. Und Mr. Nomura, wenn ich Ihnen so zuhöre, dann habe ich den Eindruck, dass Sie ein Direktor sind, der seinem Team klarmacht, was es zu tun hat, und dieses für seine Ziele begeistern kann.

Nomura:

Das hoffe ich ... Ich bin ja selbst auch Designer, also beginne ich mit einem Bild im Kopf. Vielleicht lässt sich das einfacher kommunizieren als etwas Geschriebenes.

Iwata:

Aber selbst ein „visueller Typ“ wie Sie kann nicht eine Serie von Standbildern einfach so visualisieren. Auch Sie müssen sich Gedanken darüber machen, wie beispielsweise ein Kampf funktioniert, oder?

Nomura:

Das stimmt.

Iwata:

Wie kommunizieren Sie solche Dinge an Ihr Team?

Nomura:

Nun ... Zunächst spreche ich über meine Ideen und zeichne schnell ein paar Bilder, um meine Ideen auszuprobieren und zu veranschaulichen. Ich denke, das ist ein bisschen so, als würde man jemandem einen Film beschreiben, den man sich gerade angesehen hat. So ungefähr ist das.

Iwata:

Ich verstehe. Weil Sie also ein vollständiges Bild im Kopf haben, können Sie sagen „dieses Bisschen hier ist anders“ oder „dieser Teil ist gut“ und können so allmählich Ihre Vorstellung Realität werden lassen. Sie haben ein vollständiges Bild im Kopf, mit dem Sie von Anfang an arbeiten und auf dem Sie Ihre Arbeit aufbauen.

Nomura:

Ich denke, darum sagt mir das Team, meine Werbevideos seien eine große Hilfe.

Iwata:

Dann sind Ihre Werbevideos nicht nur für die Kunden bestimmt. Verwenden Sie diese auch bei Präsentationen für Ihr Team? Ich nehme an, diese verhalten sich ungefähr wie bewegliche Datenblätter.

Nomura:

Ich glaube schon. Sie vermitteln dem Team die Idee, welche Art von Action wir erzeugen möchten, wenn sie sie ansehen.

Iwata:

Ah ja, ich verstehe. Nun, eine weitere Sache, die die Leute bei Kingdom Hearts überrascht hat, war die Zusammenarbeit mit Hikaru Utada. Und ich muss sagen, dass mich diese selbst ziemlich schockiert hat. Wie kam sie zustande?

Nomura:

Nun, ich bin ein Fan von Mr. Utada. Und da wir die weltberühmten Disney-Charaktere verwendeten, dachte ich, wir bräuchten auch einen Song von dem weltbesten Künstler. Für mich war das ganz klar Ms. Utada. Viele Leute hielten es für völlig unmöglich, sie zu bekommen. Aber ich fragte sie trotzdem, nach dem Motto: „Man kann nie wissen, solange man nicht gefragt hat.“ Und überraschenderweise war sie von der Idee begeistert. Und so war die Sache beschlossen.

Iwata:

Vielleicht beeindruckte sie Ihre Art, gleich Tacheles zu reden. Es gibt wohl nicht gerade viele Leute, die einfach so zu Disney gehen und den Leuten dort sagen: „Ich möchte aber kein Spiel machen, bei denen Ihre Charaktere die Stars sind. Ich möchte meine eigenen Charaktere erstellen!“ (lacht)

Nomura:

(lacht)

Iwata:

Ms. Utada bekommt wahrscheinlich auch nicht jeden Tag das Angebot, einen Song für ein Spiel zu machen. Viele Leute halten das wahrscheinlich für unmöglich und versuchen es gar nicht erst.

Nomura:

Das nehme ich auch an ... Ich bin nicht der Typ, der eine Idee aufgibt, wenn er sie noch nicht ausprobiert hat. Ich denke, man sollte die Dinge wirklich ausprobieren.

Iwata:

Sicherlich ist es besser, die Sachen immer wieder auszuprobieren, als etwas für unmöglich zu erachten und es einfach aufzugeben. Nun ist seit der Veröffentlichung des ersten Kingdom Hearts-Spiels aber schon viel Zeit vergangen. Und ich bin mir sicher, dass es auch während der weiteren Entwicklung der Serie immer weitere Hindernisse geben wird. Mir ist auch bewusst, dass es bei solch einer gewaltigen Serie viele untergeordnete Handlungsstränge und vieles mehr gibt. Aber wie viele von diesen hatten Sie von Anfang an im Kopf, Mr. Nomura?

Nomura:

Zuerst hatte ich nur ein vages allgemeines Rahmengerüst im Kopf. Ich dachte fast bis zur KH II15. Ja, als Nr. 1 angekündigt wurde, habe ich bis zu KH II gedacht. Und als dann die drei Titel gleichzeitig16 angekündigt wurden, hatte ich den Eindruck, dass sich alles sehr gut zusammenfügte. Die Ankündigung dieses Spiels, Kingdom Hearts 3D17, war daher für mich nur eine weitere Stufe eines großen Plans. 15KH II bezieht sich auf Kingdom Hearts II, ein Action-RPG, das (in Japan) im Dezember 2005 veröffentlicht wurde. Wenngleich es als KH II bezeichnet wurde, handelt es sich hierbei jedoch um den dritten Teil der Kingdom Hearts-Serie. 16Kingdom Hearts Re:Coded wurde (in Japan) im Juni 2009, Kingdom Hearts 358/2 Days (in Japan) für den Nintendo DS im Mai 2009 und Kingdom Hearts: Birth by Sleep (in Japan) im Januar 2010 veröffentlicht. 17Kingdom Hearts 3D bezieht sich auf KINGDOM HEARTS 3D [Dream Drop Distance], einen neuen Software-Titel für den Nintendo 3DS, der (in Japan) am 29. März 2012 erschien und dessen Veröffentlichung in Europa geplant ist.

Iwata:

Also ist es Ihnen ganz allmählich gelungen, eine Handlung aufzubauen und auszuarbeiten, wie sich alles zusammenfügt. War dieser Prozess sehr schmerzlich?

Nomura:

Schon, aber ...

Iwata:

Sie sehen überhaupt nicht gequält aus, Mr. Nomura! (lacht)

Nomura:

Tue ich das nicht!? (lacht) Nun, lassen Sie mich mal überlegen ... Bei der Erstellung sind einem immer Grenzen gesetzt. Es gibt eigentlich keine Situation, bei der man tun und lassen kann, was man will.

Iwata:

Das stimmt. Grenzen und Beschränkungen müssen immer klar festgesetzt sein. Hätten Sie vollkommene Freiheit gehabt und wären Ihnen keinerlei Grenzen gesetzt worden, dann hätten Sie die Entwicklungsarbeit wohl niemals abgeschlossen, oder?

Nomura:

Ich glaube, da haben Sie recht. Tatsächlich besteht der Reiz an der Spiele-Entwicklung zum Teil darin, dass man diese innerhalb der gesetzten Grenzen so ansprechend wie möglich gestaltet. Manchmal denke ich sogar, dass weitere Einschränkungen die kreative Arbeit noch reizvoller machen.

Iwata:

Ja, ich verstehe vollkommen, was Sie meinen. Wenn man manchmal denkt, dass einem die Einschränkungen ganz lieb sind, dann bekommt man mehr davon. Und wenngleich damit natürlich auch ein paar Probleme verbunden sind, muss man sich doch dafür entscheiden, diese nicht als solche anzusehen. Letzten Endes will man doch, dass die Spieler Spaß am Spiel haben und dass diese nicht auf die gleichen Probleme stoßen, wie man selbst als Kreativer.

Nomura:

Ja, das stimmt.

Iwata:

Also sehen Sie, dass mit der kreativen Arbeit unweigerlich Grenzen und Einschränkungen verbunden sind. Und Sie haben sich dafür entschieden, sich diesen Herausforderungen zu stellen?

Nomura:

Ja. Genau deshalb gefällt es mir, nach Möglichkeiten zu suchen, mit solchen Einschränkungen umzugehen. Mr. (Tadashi) Nomura18, der die Werbung für Kingdom Hearts gemacht und mir ziemlich viel beigebracht hat, sagte immer: „Die Spieler wollen nicht mit den Schwierigkeiten behelligt werden, die Sie hatten.“ 18Tadashi Nomura hat die Werbung für viele Square Enix-Titel gemacht. Derzeit ist er einer der Direktoren von Monolith Soft Inc.

Iwata:

Also sagte er genau das, was wir gerade besprochen haben!

Nomura:

Er sagte immer: „Erwähne die Schwierigkeiten gar nicht!“ Ich glaube, er hat mich sehr geprägt.

Iwata:

Teilten Sie damals seine Meinung?

Nomura:

Ja. Ich finde es interessanter, über angenehmere Dinge als Schwierigkeiten informiert zu werden. Ich lebe immer noch nach vielen solchen Leitbildern; Leitbilder, die ich von meinen Mentoren gelernt habe.

Iwata:

Das war doch Bestandteil der Kultur bei Square, oder?

Nomura:

Ich glaube ja. Als Mr. (Koichi) Ishii19 die Firma verließ, sagte er zu mir: „Ich vertraue Ihnen, dass Sie Squares Kreativkultur aufrecht erhalten werden.“ Und ich finde, dass ich mich darum bemühe, und schätze diese Art von Mentalität. 19Koichi Ishii war an der Erstellung von Final Fantasy I-III, IX und anderen Spielen beteiligt. Derzeit ist er der Regisseur von Grezzo.