1. Alles im Stadion darstellen

Iwata:

Heute unterhalte ich mich mit Mr. Enomoto, dem Schöpfer der „Pro Evolution Soccer"-Serie.1 Er ist auch der verantwortliche Produzent,2 der die Koordination des Gesamtprojektes bei Konami übernommen hat. In Anbetracht der vor uns liegenden Veröffentlichung des neuesten Titels der „PES"-Serie für den Nintendo 3DS, „PES 2011 3D - Pro Evolution Soccer 2011"3, wollte ich mich gern mit Ihnen zusammen setzen und ein wenig über das Spiel plaudern. Vor allem freue ich mich auf Ihre Eindrücke als Schöpfer des Spiels. Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit dafür genommen haben. 1„Pro Evolution Soccer"-Serie: Eine Fußballspiel-Serie, die ihr Debüt im Juli 1995 mit „J. League Winning Eleven" hatte. In Japan bekannt unter dem Titel: „Winning Eleven"-Serie. Im Folgenden als „PES" bezeichnet. 2Konami Digital Entertainment Co., Ltd. 3„PES 2011 3D – Pro Evolution Soccer”: Das neueste Spiel der „PES"-Serie. Die Veröffentlichung in Europa ist für denselben Tag geplant wie die Einführung des Nintendo 3DS: 25. März 2011.

Enomoto:

Danke für die Einladung.

Iwata:

Mr. Enomoto, ich habe gehört, dass Sie Jahrgang 1958 sind. Ich bin 1959 geboren. Wir sind quasi gleichaltrig! Ich denke, wir haben viele Erfahrungen gemeinsam. Wir gehören zu der Generation, die die Anfänge der Videospiele hautnah mitbekommen hat und ihre Entwicklung in den vergangenen 25 Jahren verfolgen konnte.

Enomoto:

Ja.

Iwata:

Damals gab es noch keinen vorgefertigten Weg, wie man Videospiele zu entwickeln hat. Unsere Generation hatte also auch keine Vorbilder, von denen wir die Produktion von Videospielen lernen konnten. Learning-by-doing war an der Tagesordnung. Wir mussten uns den Weg zum fertigen Spiel selbst erarbeiten. Es war der Beginn eines ganz neuen Handwerks. Ich bin mir sicher, dass sich unsere Erfahrungen aus der Zeit ähneln.

Enomoto:

Sie haben Recht. Zu der Zeit, als das Wissen über Videospieleentwicklung noch in den Kinderschuhen steckte, war es, als ob wir in einem ewigen Kreislauf von Bauen und Verwerfen von Prototypen steckten. Damals musste man großes Durchhaltevermögen haben und immer wieder Entscheidungen darüber treffen, ob wir am Ende des Prozesses wirklich das Ergebnis erhalten würden, das wir uns vorstellten. Heute ist es ganz anders. Es gibt so viele Tools, die die eigenen Ideen in null Komma nichts auf den Bildschirm projizieren. Die perfekte Selbstkontrolle!

Iwata Asks
Iwata:

Es war genau das Gegenteil von der Spieleentwicklung, wie sie heute ist. Wir erschaffen Spiele mit Hilfsmitteln, die uns auf der Stelle reflektieren können, welche Qualität die Softwaredaten haben. Wir konzentrieren uns mehr auf die Programmierung von Daten, als dass wir jemand anderen um Hilfe bitten, die Zahl der Fehlversuche so niedrig wie möglich zu halten. Ich glaube, dass dies das Ergebnis unserer Geschichte ist: Einst konnten wir nicht einmal den kleinsten Datenstrang ohne die Hilfe von jemand anderem verändern. Wir wollten unsere Arbeit optimieren und konzentrierten uns deshalb auf die Automatisierung dieser Dinge. Nebenbei gefragt, Mr. Enomoto, ich hörte, dass Sie eigentlich für die Musik zuständig waren.

Enomoto:

Das stimmt. Ich war verantwortlich für die Musik von „PES". Da ich mich im Fußball auskannte, wurde ich jedoch schnell nach meinem Start bei Konami zum Leiter der Produktion des gesamten Spieles ernannt. Das war so um 1994. Und nun sitze ich hier. Sie können sagen, dass ich nur wegen „PES" heute hier sitze.

Iwata:

Eines der Dinge, die ich Sie heute fragen möchte ist, wie „PES“ zu „PES“ wurde. Eben haben Sie so ganz beiläufig erwähnt, dass Sie sich im Fußball auskennen. Für mich sieht es so aus, als ob „PES" zu einer Marke gewachsen ist, die in der Reihe der bisher erschienenen Fußballspiele einen wichtigen Platz einnimmt. Und während es immer stärker wurde, haben auch die Fußballspiele selbst sich drastisch verändert. Mich interessiert, was genau da passiert ist. Welche Hürden mussten Sie im Verlauf der Zeit nehmen, und was genau führte zur Einführung der „PES"-Serie, wie wir sie heute kennen?

Iwata Asks
Enomoto:

Der Produzent von „PES", Shingo Takatsuka,4 hat dies einmal mit den Worten beschrieben: „Im Fußball verhält es sich mit Offensiv- und Defensivspiel wie bei Kampfspielen." Er ergänzte: „Kurz gesagt, der Unterschied ist nur, dass man sich gegenseitig den Ball stiehlt, anstatt sich Schläge zu verpassen." 4Shingo Takatsuka: Hauptproduzent der Serie „Pro Evolution Soccer".

Iwata:

Das ist wirklich interessant. Ich habe Fußball- und Kampfspiele noch nie miteinander verglichen. Wenn man aber Fußball als Kampfsport ansieht, ist es wichtig, sowohl die Offensive als auch die Defensive des Gegners voraussagen zu können. Genau wie beim Kampf. Wenn mein Gegner so auf mich zukommt, schieße ich auf diese Weise und so weiter ...

Enomoto:

Ja. Er war unglaublich geschickt darin, dieses Gleichgewicht herzustellen. Genau wie in Kampfspielen kommt es vor allem auf die Muster von Angriff und Verteidigung an.

Iwata:

Es stimmt, dass Angriff und Verteidigung sowohl Teil von Fußball als auch von Kämpfen sind. Etwas, das dem Gegner großen Schaden zufügen kann, verursacht meist auch Lücken in der eigenen Verteidigung. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist es unabdingbar, die gegnerische Taktik zu erkennen.

Enomoto:

Stimmt. Ein weiterer Punkt ist, dass in früheren Fußballspielen der Ball und der Spieler fest miteinander verbunden waren. Anders gesagt, wurde der Ball nahezu zum Fuß des Spielers hingezogen, sobald er in seine Nähe kam. Unser Hauptaugenmerk lag also darauf, Ball und Spieler voneinander unabhängig zu machen.

Iwata:

Sie sagen also, dass „PES" das erste Spiel war, in dem der Ball vom Spieler getrennt war und somit erstmalig eine Strategie von Angriff und Verteidigung integriert wurde?

Enomoto:

Ja, so hat es begonnen.

Iwata:

Ich verstehe. Aber es kommt mir so vor, als ob „PES" selbst nach diesen Veränderungen nie aufgehört hat, sich weiter zu entwickeln. Mit jedem Jahr wird es tiefgründiger und komplexer. Was ist das Geheimnis dahinter?

Enomoto:

Am bedeutsamsten ist wohl, dass sich das gesamte Produktionsteam alle möglichen Fußballspiele, insbesondere europäische, immer und immer wieder angeschaut hat. Solange wir nicht genau verstanden haben, wie diese Art von Fußballspiel sich aufbaut, können wir es auch nicht im Spiel umsetzen. Als Ziel haben wir uns gesteckt, dass alles, was man in der Realität erleben kann, sich im Videospiel wieder findet. Am Ende soll man sich fühlen, als befinde man sich in einem Stadion.

Iwata Asks
Iwata:

Anders gesagt, sind Sie während der Entwicklung des Spiels ständig damit beschäftigt, eine bestimmte Szenerie aufzubauen. Völlig egal, um welche Szenen für „PES" es geht, so lange sie sich auch im echten Fußball ereignen. Sie könnten diese Vorgehensweise gar nicht verfolgen, wenn nicht das ganze Team vom Fußball begeistert wäre, oder?!

Enomoto:

Wie wahr, wie wahr. Wenn es auch nur eine begrenzte Zeit andauert, in der Planungsphase einer solchen Produktion schauen wir uns unermüdlich Videos von Spielen an, die wir verwenden wollen.

Iwata:

Aber im Sport beeinflussen so viele verschiedene Dinge das Spiel, dass man nur schwer sagen kann, wie viel davon tatsächlich von der Leistung des Sportlers abhängt oder ob sich die Dinge durch zufällige Entscheidungen im Bruchteil einer Sekunde entwickeln. Im Fußball kommen manchmal dramatische Veränderungen im Spiel zustande, die vollkommen zufällig entstehen. Mir fallen viele Beispiele ein, wo ein einzelner Pass dafür sorgte, dass sich das gesamte Spiel gedreht hat.

Enomoto:

Ja. Aber wenn das jedes Mal passieren würde, ginge das Gleichgewicht des Spiels verloren. Ich glaube, dass die Balance zwischen Angriff und Verteidigung für den Spielfluss wichtig ist und Einfluss darauf hat, wie groß die Wahrscheinlichkeit eintretender Veränderungen ist. Wenn vieles auf einmal passiert, steigt die Punktzahl zu hoch, was zu einer Art Bruch in der KI5 führt. 5KI: Eine Abkürzung für „Künstliche Intelligenz". In Spielen ist dabei diejenige Technologie gemeint, die ein Computerprogramm nutzt, um Entscheidungen zu treffen und die Vorgehensweise von Menschen zu simulieren.

Iwata:

Wenn man mit diesem Gleichgewicht nicht vorsichtig umgeht, geht das Gefühl von echtem Fußball verloren. Wie war es wirklich? Welche Dinge, die Sie als Schöpfer des Spiels umsetzen wollten, finden wir heute im aktuellen „PES" wieder?

Enomoto:

Nun ... ich glaube nicht, dass wirklich alles umgesetzt wurde.

Iwata:

Ich verstehe. In gewisser Weise ist „PES" also Ihr Lebenswerk.

Enomoto:

Ja. Obwohl wir nun schon über zehn Jahre daran arbeiten, kommt es mir noch nicht so vor, als wären wir ganz nah dran am echten Fußball.