2. Bewegung durch Motion-Capture

Iwata:

In einem Fußballspiel sind immer elf Teammitglieder in Bewegung. Man kann jedoch immer nur einen Sportler direkt steuern, die anderen werden von der KI bewegt. Heißt das, dass die KI der Schlüssel für ein Fußballspiel ist?

Enomoto:

Ja. Grundsätzlich ist die KI absolut wichtig. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass die KI in Videospielen auf der ganzen Welt weit weg von ihrem Ideal ist.

Iwata:

Es stimmt, dass die Erstellung von Grafiken schon so gut ist, dass man sie kaum von echten Fotos unterscheiden kann. KI hat noch einen weiten Weg vor sich, um in einem Vergleich hiermit bestehen zu können.

Enomoto:

Das ist der Grund, warum wir immer wieder hören, dass es mehr Spaß bringt, gegen echte Menschen zu spielen. Bei „PES" ist die KI im Moment grundsätzlich in Richtung Verteidigung ausgerichtet. Es ist ein Fußballspiel: Wenn die Spieler einen nach dem anderen austeilen würden und es zu einem Kampf 10 gegen 8 käme, wäre es nämlich kein Fußball mehr. Also ist es zunächst wichtig, das Gleichgewicht zu finden, so dass Angriffe stattfinden, ohne die Abwehr aus den Augen zu lassen. Ein anderer wichtiger Punkt der KI ist die Animation der Sportler selbst. In der Firma haben wir dafür ein Motion-Capture-Studio. Wir haben die Bewegungen des Entwicklungsteams aufgenommen und für die Umsetzung der Bewegungen verwendet.

Iwata:

Wirklich!? Das ist unglaublich! Ich hatte den Eindruck, dass Sie sicher mit Bewegungsmustern professioneller Fußballspieler gearbeitet haben.

Enomoto:

Wir haben damals Mitglieder der J. League (Japanische Fußball-Liga) um Hilfe gebeten. Allerdings konnten wir nicht verantworten, sie immer wieder gefährliche Abfolgen wiederholen zu lassen. Es wäre also nicht möglich gewesen, die notwendigen Wiederholungen aufzuzeichnen.

Iwata:

Das stimmt. Für einen Profi ist sein Körper das Kapital, auf das er gut achten muss.

Enomoto:

Genau. Ihre Manager hätten sie davon abgehalten, mitzumachen. Die Lösung war also, die Motion-Capture-Sensoren an unseren Mitarbeitern zu befestigen und die Muster so aufzunehmen. Es gibt natürlich eklatante Unterschiede im Körperbau und der Muskulatur zwischen Profis und Amateuren. Diese spiegeln sich natürlich zum Beispiel in der Geschwindigkeit eines Schusses wieder. Es war uns aber wichtig, die gewünschten Bewegungen immer und immer wieder aufzeichnen zu können, um so sorgfältig wie möglich zu arbeiten.

Iwata:

Am Ende haben also die Beharrlichkeit der Wiederholungen, die Leidenschaft und die bloße Menge des Materials die Qualität des Spiels verändert.

Iwata Asks
Enomoto:

Das stimmt. Es ist eine Frage der Kompromisse, die man bereit ist einzugehen. Wir können zwar die Aufzeichnungen im Nachhinein ändern - besser ist es jedoch, das Ganze noch einmal aufzunehmen.

Iwata:

Ich bin sicher, dass es unter Ihren Mitarbeitern viele gute Fußballspieler gibt, aber trotzdem ist es eine große Herausforderung. Ich glaube, dass das ganze Gerede von Motion-Capture für manche Leute echt komisch klingt. (lacht)

Enomoto:

Bei x Wiederholungen der Hechtsprünge eines Torschützen steigt die Gefahr für einen Profi, sich früher oder später eine Verletzung zuzuziehen. Außerdem ist es eine große körperliche Herausforderung. Unsere Leute können einer nach dem anderen so viele Aufnahmen machen, wie wir möchten.

Iwata:

Ja, eine Person allein könnte es gar nicht so oft hintereinander schaffen (lacht). Man muss jedes Quäntchen Energie auf einen kurzen Moment konzentrieren, um diese Dinge durchzuführen.

Enomoto:

Das stimmt. Sie sehen also, dass die Teammitglieder sich mehr als anderswo in das Spiel einbringen konnten. Sie tragen nicht nur mit ihrer Entwicklungsarbeit zum Fußballspiel bei, sondern sind auch direkt mit ihren Bewegungen dabei.

Iwata:

Das steigert sicher die Motivation, oder?! Obwohl man beim Programmieren viel Zeit im Sitzen verbringt, glaube ich, dass der heutige Stand der Spielentwicklung doch sportliche Komponenten hat. Es ist das gleiche wie bei den „Mario"-6 und „Zelda"-7 Spielen. Wenn ein Spieler einen Fehler macht, muss man ihn dazu bringen, diese Stelle immer und immer wieder zu versuchen. Für mich ist dieser Gedankenweg durchaus sportlich motiviert. Aber das „PES"-Team ist derzeit, während sie ihre Hintern bewegen müssen, doch noch etwas sportlicher unterwegs! (lacht) 6„Mario": Die „Super Mario Bros."-Serie. Das erste Spiel für das NES wurde im September 1985 in Japan veröffentlicht. 7„Zelda": „The Legend of Zelda"-Serie. Das erste Spiel für das Family Computer Disk System wurde im Februar 1986 in Japan veröffentlicht.

Enomoto:

Nun, wenn wir nicht so vorgegangen wären, hätten wir nach der Implementierung der Bilder ins Spiel ein Problem gehabt. Hätte das Ergebnis nicht unseren Vorstellungen entsprochen, hätten wir nicht einfach sagen können: „Gut, machen wir es noch mal. Wir fangen morgen früh an.“ Wir hätten an Tempo verloren.

Iwata Asks
Iwata:

Sie nahmen also die ersten Bewegungen auf, die Sie mit Hilfe der KI abbilden wollten, und prüften sie direkt im Spiel. Für den Fall, dass das Ergebnis nicht Ihren Vorstellungen entsprach, zeichneten Sie sie erneut auf, usw. Diesen Kreislauf haben Sie über ein Jahr wiederholt und stapelweise Aufnahmen gemacht. Das ist bestimmt ein Grund für den riesigen Fortschritt, den „PES" in so kurzer Zeit gemacht hat. Ist denn wirklich jeder, der dabei war, am Ende ein Fußball-Experte geworden?

Enomoto:

Ja. Anfangs gab es sicherlich ein paar Leute, die nicht besonders viel über Fußball wussten. Aber jetzt, da es Teil ihres Arbeitslebens geworden ist, schauen sie sich auch zu Hause Spiele an. Wären es nicht diese Art von Menschen gewesen, hätten sie kaum Szenen erschaffen können, die die Fans glücklich machen.

Iwata:

Die Menschen, die die KI entwickelt haben, mussten sich viele Gedanken über die Denkweise der Spieler machen und darüber, wie diese Entscheidungen treffen. Hat sich Ihr Blick auf Spiele verändert, seit Sie an der Komposition von Fußballspielen arbeiten?

Enomoto:

Ja, der Blick verändert sich.

Iwata:

Ich wette, die Spiele sind interessanter geworden.

Enomoto:

Wenn ich mir ein Spiel ansehe, versuche ich vorauszusagen, was als nächstes passiert. Liege ich dann falsch, wird mir klar, wie viel Potenzial noch in dem ganzen steckt. Ich denke: „Dieser Spieler macht Sachen, die ich noch nie zuvor gesehen habe ..."

Iwata:

Die Qualität von Fußball verändert sich mit der Zeit, oder?! Neue Sportler treten auf den Plan, sie lernen neue Dinge und erfinden neue Taktiken. All dies verändert den Weg des Fußballs. Sie erkennen solche Dinge sehr schnell, oder?!

Enomoto:

Das glaube ich zumindest. Lassen Sie uns zum Beispiel über Taktiken sprechen. „Raumdeckung"8 ist eine Taktik, die erfunden wurde, um einen bestimmten Sportler unter Druck zu setzen. Im Laufe der Zeit wurde aber deutlich, dass diese Taktik effektiv gegen alle Sportler angewendet werden kann. 8Raumdeckung: Eine Abwehrtaktik im Fußball.

Iwata:

Ist das die Geschichte dahinter?

Enomoto:

Ja. So wurden Dinge zum Standard. Heutzutage ist es eine anerkannte Taktik.